22.11.2022 Zivilrecht

OGH: Zur Unbenutzbarkeit des Bestandgegenstandes

Die Preisgefahr des Bestandgebers muss dort enden, wo unternehmerische Entscheidungen des Bestandnehmers die Folgen bestimmen, weil diese Entscheidungen außerhalb der Ingerenz des Bestandgebers liegen


Schlagworte: Bestandrecht, Bestandgegenstand, Unbrauchbarkeit, Unbenutzbarkeit, Preisgefahr, COVID-19, Betretungsverbot, Geschäftsraum, Geschäftsschließung, Umsatzrückgang, Wettlokal
Gesetze:

 

§§ 1104 ff ABGB

 

GZ 10 Ob 9/22d, 18.10.2022

 

OGH: Die §§ 1104, 1105 und 1107 ABGB enthalten Regeln über die Gefahrtragung beim Bestandvertrag: Wenn die in Bestand genommene Sache wegen „außerordentlicher Zufälle“ wie etwa wegen einer Seuche (zB COVID-19) gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, ist der Bestandgeber gem § 1104 ABGB nicht zur Wiederherstellung verpflichtet, doch ist auch kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten. Ist das Mietobjekt wegen eines solchen außerordentlichen Zufalls nur eingeschränkt brauchbar, so ist der Mietzins verhältnismäßig zu mindern (§ 1105 ABGB).

 

Von den Sondernormen der §§ 1104 f ABGB ist die Bestimmung des § 1107 ABGB zu unterscheiden: Wird der Gebrauch des Bestandgegenstands nicht wegen dessen Beschädigung oder sonst entstandener Unbrauchbarkeit, sondern aus einem dem Bestandnehmer zugestoßenen Hindernis oder Unglücksfall vereitelt, fällt dies nach § 1107 ABGB dem Bestandnehmer zur Last. Demnach ist eine Bestandzinsminderung ausgeschlossen, wenn die Gebrauchsbeeinträchtigung aus der Sphäre des Bestandnehmers stammt und damit (bloß) eine subjektive Unbrauchbarkeit der Bestandsache vorliegt. In diesem Fall, in dem der Bestandnehmer verhindert ist, das an sich benützbare Bestandobjekt zu nutzen oder zu gebrauchen, fällt das Zinsrisiko nach § 1107 ABGB ihm zu, sodass er den Zins zu zahlen hat, obgleich er gar keinen oder nur einen verringerten Gebrauchsnutzen hat.

 

Im vorliegenden Fall geht es aber nicht um die Frage, ob das Bestandobjekt während Zeiten behördlicher Betretungsverbote und Zugangsbeschränkungen objektiv unbenutzbar wurde. Vielmehr hat die Beklagte das Geschäftslokal bereits im Dezember 2019, und damit vor Beginn der Corona-Pandemie, aufgrund des Umstands geschlossen, dass die Umsätze hinter den Erwartungen geblieben waren. Die Beklagte nutzte demnach den Bestandgegenstand bereits aus allein in ihrer Person gelegenen Gründen nicht.

 

Es mag sein, dass der Beklagten in den Zeiträumen, in denen wegen der Pandemie Betretungsverbote und Betretungsbeschränkungen verordnet waren, eine Wiederaufnahme des Betriebs nur eingeschränkt möglich gewesen wäre. Sie hat allerdings nicht vorgebracht, dass sie eine solche Wiederaufnahme des Betriebs überhaupt angestrebt hätte. Die Preisgefahr des Bestandgebers muss aber dort enden, wo unternehmerische Entscheidungen des Bestandgebers die Folgen bestimmen, weil diese Entscheidungen außerhalb der Ingerenz des Bestandgebers liegen.