22.11.2022 Zivilrecht

OGH: Zum Mitverschulden iZm Sturz im Bereich der Einkaufswagenremise eines Supermarktes

Von einem Fußgänger ist nicht nur zu verlangen, beim Gehen vor die Füße zu schauen und der eingeschlagenen Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden, sondern auch, einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle möglichst auszuweichen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Verkehrssicherungspflicht, Supermarkt, Remise, Mitverschulden
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB

 

GZ 10 Ob 45/22y, 18.10.2022

 

OGH: Soweit der Kläger in der Revision einen Verstoß gegen die vertragliche Verkehrssicherungspflicht thematisiert, indem er die Konstruktion als gefährlich einstuft, sie als „Stolperfalle“ bezeichnet und weitere Sicherungsmaßnahmen vermisst, zeigt er eine unrichtige Beurteilung des festgestellten Sachverhalts durch das Berufungsgericht nicht auf, weil es – in Übereinstimmung mit der vom Kläger in der Revision vertretenen Rechtsansicht – ohnedies von einem Verstoß der Beklagten gegen die Verkehrssicherungspflicht ausging.

 

Das Berufungsgericht gelangte zur Abweisung eines Teils des Klagebegehrens vielmehr, weil es ein (gleichteiliges) Mitverschulden des Klägers annahm.

 

Nach stRsp bildet die Frage, ob den Geschädigten überhaupt ein Mitverschulden an dem von ihm geltend gemachten Schaden trifft, wegen seiner Einzelfallbezogenheit regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO. Bei Schadenersatzpflichten wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden nur dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen. Von einem Fußgänger ist nicht nur zu verlangen, beim Gehen vor die Füße zu schauen und der eingeschlagenen Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden, sondern auch, einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle möglichst auszuweichen.

 

Die angefochtene Entscheidung entspricht diesen Grundsätzen. Eine Überschreitung des dem Berufungsgericht in diesem Zusammenhang zukommenden Beurteilungsspielraums zeigt die Revision nicht auf. Entgegen der offenbaren Ansicht des Klägers in der Revision ist nicht entscheidend, ob der Kläger schon im Zeitpunkt der Annäherung an die Einkaufswagenabstellfläche Sicht auf die Metallkonstruktion hatte, über die er letztlich stürzte. Das Berufungsgericht ging vielmehr davon aus, dass der Kläger die grundsätzlich erkennbare Metallkonstruktion nach dem Zurückstellen des Einkaufswagens (also nach den Manipulationen der Einkaufswägen) nicht ausreichend beachtete. Aus welchen anderen Gründen er die Metallkonstruktion in diesem Moment – unmittelbar bevor er sich nach Loslassen des Griffs des Einkaufswagens nach rechts in Richtung der neben der Metallkonstruktion befindlichen Freifläche bewegte – nicht als Hindernis wahrnehmen hätte können, legt der Kläger in der Revision nicht offen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Kläger in diesem Moment der einzuschlagenden Wegstrecke und der dort befindlichen – grundsätzlich erkennbaren – Metallkonstruktion nicht die nötige Aufmerksamkeit widmete, ist somit nicht korrekturbedürftig.

 

Auch die Frage, in welchem Ausmaß den Geschädigten ein Mitverschulden trifft bzw ob die Verschuldensteilung angemessen ist, ist im Allgemeinen – von einer Überschreitung des Beurteilungsspielraums durch das Berufungsgericht abgesehen – keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung.

 

Mit dem Hinweis darauf, dass die Metallkonstruktion als gefährlich einzustufen sei und die Beklagte weitere Sicherungsmaßnahmen treffen hätte müssen, spricht die Revision lediglich einen – vom Berufungsgericht ohnedies bejahten – Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte an, zeigt aber keine Überschreitung des dem Berufungsgericht eingeräumten Beurteilungsspielraums bei der Beurteilung des Ausmaßes des Mitverschuldens auf. Soweit sich der Kläger auf die Entscheidung 3 Ob 6/20h beruft, der nach seiner Behauptung ein ähnlicher Sachverhalt zugrunde liege, gibt er das Ergebnis der Entscheidung unrichtig wieder, weil dort – wie im vorliegenden Fall – vom Berufungsgericht eine Verschuldensteilung von 1 : 1 angenommen und dies vom OGH als nicht korrekturbedürftig beurteilt wurde. Inwiefern die vom Berufungsgericht angenommene Verschuldensteilung daher im vorliegenden Fall außerhalb des ihm eingeräumten Beurteilungsspielraums liegen und einer Korrektur durch den OGH bedürfen soll, lässt sich der Revision nicht nachvollziehbar entnehmen.