11.10.2022 Verfahrensrecht

OGH: Zur Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (Investitionsschutzabkommen)

Bei der Prüfung des Versagungsgrundes gem Art V Abs 1 lit c NYÜ hat das Gericht im Vollstreckungsstaat die Kognitionsbefugnis des Schiedsgerichts selbständig zu überprüfen, und zwar auch dann, wenn das Schiedsgericht seine Zuständigkeit ausdrücklich bejaht hat


Schlagworte: Schiedsverfahren, ausländischer Schiedsspruch, Vollstreckbarkeit, Vollstreckbarerklärung, Versagungsgrund, Schiedsgericht, Schiedsvereinbarung, Überschreiten der Kognitionsbefugnis, Investitionsschutzabkommen, Libyen
Gesetze:

 

Art V NYÜ, Art 11 f BIT, Art 3 AFR

 

GZ 3 Ob 80/22v, 08.09.2022

 

OGH: Gem Art V Abs 1 lit c NYÜ ist die Anerkennung bzw Vollstreckbarerklärung zu versagen, wenn der Schiedsspruch eine Streitigkeit oder über Ansprüche entscheidet, die nicht von der dem Schiedsspruch zugrunde liegenden Schiedsvereinbarung erfasst werden. Bei der Prüfung dieses Versagungsgrundes hat das Gericht im Vollstreckungsstaat die Kognitionsbefugnis des Schiedsgerichts selbständig zu überprüfen, und zwar auch dann, wenn das Schiedsgericht seine Zuständigkeit ausdrücklich bejaht haben sollte; eine Bindung besteht insoweit nicht. Das NYÜ enthält auch nicht etwa eine Regelung zur Begründung der Zuständigkeit des Schiedsgerichts durch rügelose Verfahrenseinlassung.

 

Die Zulässigkeit der Anrufung des ICSID (Internationales Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten, eine Schiedsinstitution der Weltbankgruppe mit Sitz in Washington) resultiert im Anlassfall aus Art 11 f BIT (Investitionsschutzabkommen mit Libyen). Nach Art 11 Abs 2 lit c ii) kann die Investitionsstreitigkeit vom ICSID nach den Regeln der AFR entschieden werden, wenn nur eine Verfahrenspartei ein ICSID-Vertragsstaat oder Angehöriger eines solchen Staates ist. Nach Art 12 BIT erklärt jede Vertragspartei ihre uneingeschränkte Zustimmung, eine Streitigkeit einem internationalen Schiedsverfahren nach Art 11 BIT zu unterwerfen. Art 3 AFR (ICSID-Additional Facility Rules) sieht dazu vor, dass eine Vereinbarung über ein Schiedsverfahren nach den Regeln der Zusatzfazilität vom Generalsekretär des ICSID genehmigt werden muss, bevor das Verfahren beginnen kann.

 

Es stellt sich damit die Frage, ob die Streitteile als Parteien des Schiedsverfahrens eine gesonderte Schiedsvereinbarung mit Regelungen zu den von dieser erfassten Streitigkeiten und Ansprüchen geschlossen oder ob sie nur die Zustimmung zum Schiedsverfahren iSd Art 12 BIT gegenüber dem Generalsekretär des ICSID erklärt haben. Dazu wurden von den Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Eine abschließende Beurteilung der Überschreitung der Entscheidungsbefugnis durch das ICSID ist daher schon aus diesem Grund nicht möglich, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden müssen.