VwGH: Verwirklichung des Entziehungstatbestandes des § 26 Abs 2a FSG iZm Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens
Liegt im Zeitpunkt der Entscheidung der mit der Entziehung der Lenkberechtigung befassten Behörde (noch) keine sie bindende, rechtskräftige, über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung absprechende Strafentscheidung vor, hat sie die Frage, ob das in Rede stehende Delikt begangen wurde, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen; nichts anderes gilt für das im Beschwerdeweg angerufene und deshalb zur Sachentscheidung berufene VwG; dabei besteht auch keine Bindung an eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens aus formalen Gründen
§ 26 FSG, § 7 FSG, § 38 AVG, § 18 StVO, § 31 VStG, § 45 VStG
GZ Ra 2021/11/0182, 26.08.2022
VwGH: Für die Verwirklichung des Entziehungstatbestandes des § 26 Abs 2a FSG ist - anders als etwa in den in § 26 Abs 4 FSG genannten Fällen - eine Bestrafung nicht erforderlich. Liegt eine solche jedoch vor, sind die Führerscheinbehörden daran gebunden.
Liegt hingegen im Zeitpunkt der Entscheidung der mit der Entziehung der Lenkberechtigung befassten Behörde (noch) keine sie bindende, rechtskräftige, über die Begehung der als Grundlage der Entziehung angenommenen, eine bestimmte Tatsache darstellenden Übertretung absprechende Strafentscheidung vor, hat sie die Frage, ob das in Rede stehende Delikt begangen wurde, als Vorfrage nach § 38 AVG selbständig zu prüfen und rechtlich zu beurteilen. Nichts anderes gilt für das im Beschwerdeweg angerufene und deshalb zur Sachentscheidung berufene VwG.
Dabei besteht auch keine Bindung an eine Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens aus formalen Gründen.
Im Revisionsfall wurde der Mitbeteiligte mit Straferkenntnis der Revisionswerberin vom 16. Juli 2020 ua einer Übertretung des § 18 Abs 1 StVO schuldig erkannt, wobei mittels Videomessung ein zeitlicher Abstand von unter 0,2 Sekunden, nämlich 0,164 festgestellt worden sei. Mit aktenkundigem Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 4. November 2021 wurde der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde Folge gegeben, das Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt. Das VwG stellte zu dem hier einschlägigen Tatvorwurf fest, der Mitbeteiligte habe zu dem im Straferkenntnis genannten Zeitpunkt auf der Autobahn A12 auf der Überholspur fahrend zu einem vor ihm fahrenden Fahrzeug nicht einen solchen Abstand gehalten, dass ein rechtzeitiges Anhalten möglich gewesen wäre, wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abbremsen würde, was mittels Videomessung festgestellt worden sei. Der Tatort liege jedoch um mehr als 300 Meter von dem dem Mitbeteiligten vorgeworfenen Tatort entfernt. Eine entsprechende Präzisierung des Tatvorwurfes sei dem Landesverwaltungsgericht allerdings infolge eingetretener Verfolgungsverjährung iSd § 31 Abs 3 VStG verwehrt.
Das VwG hob die Entziehung der Lenkberechtigung deshalb auf, weil es erkennbar von einer Bindung an dieses im Verwaltungsstrafverfahren ergangene Erkenntnis dahin ausging, dass der Mitbeteiligte die ihm angelastete Verwaltungsübertretung nicht begangen hätte.
Ein solcher Inhalt kann dem Erkenntnis des VwG vom 4. November 2021 aber nicht zugemessen werden. Vielmehr hat das VwG das Strafverfahren über die dem Mitbeteiligten angelastete Übertretung des § 18 Abs 1 StVO wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung, somit gem § 45 Abs 1 Z 3 VStG und demnach aus bloß formalen Gründen (iSd dargestellten Jud) eingestellt.
Davon ausgehend bestand aber keine Bindung im Führerscheinverfahren dahin, dass der Mitbeteiligte die in § 7 Abs 3 Z 3 lit b FSG genannte Übertretung nicht begangen hätte.
Vielmehr hätte das VwG diese Frage aus eigenem zu beurteilen gehabt.