27.09.2022 Zivilrecht

OGH: § 16 VersVG – zur Anzeigeobliegenheit

An die vom Versicherten bzw Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind ganz erhebliche Anforderungen zu stellen, besonders dann, wenn die gestellten Fragen Individualtatsachen betreffen


Schlagworte: Versicherungsvertragsrecht, Anzeigeobliegenheit
Gesetze:

 

§ 16 VersVG

 

GZ 7 Ob 87/22b, 24.08.2022

 

OGH: Nach § 16 Abs 1 VersVG hat der Versicherungsnehmer bei Abschluss des Versicherungsvertrags alle ihm bekannten Umstände, die für die Übernahme der Gefahr erheblich sind, dem Versicherer anzuzeigen. Zur Bejahung der Gefahrenerheblichkeit von Umständen ist es nicht erforderlich, dass der Versicherer bei Kenntnis des wahren Sachverhalts den Vertrag tatsächlich abgelehnt oder nicht zu den bestimmten Bedingungen geschlossen hätte. Vielmehr reicht es aus, dass der vom Versicherer nachgewiesene Umstand bei objektiver Betrachtung geeignet ist, einen solchen Entschluss des Versicherers zu motivieren. Ein Umstand, nach dem der Versicherer ausdrücklich und schriftlich gefragt hat, gilt im Zweifel als erheblich. An die vom Versicherten bzw Versicherungsnehmer bei Erfüllung seiner vorvertraglichen Anzeigepflicht anzuwendende Sorgfalt sind ganz erhebliche Anforderungen zu stellen, besonders dann, wenn die gestellten Fragen Individualtatsachen betreffen. Für eine schuldhafte Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht genügt bereits leichte Fahrlässigkeit (§ 16 Abs 3 VersVG. Die Beweislast für das mangelnde Verschulden an der Verletzung einer vorvertraglichen Anzeigepflicht trifft grundsätzlich den Versicherungsnehmer. Ist der Vorschrift des § 16 Abs 1 VersVG zuwider die Angabe eines erheblichen Umstands unterblieben, so kann der Versicherer nach § 16 Abs 2 VersVG vom Vertrag zurücktreten. Nach stRsp kann sich der Versicherer aber auch ohne Vertragsauflösung auf Leistungsfreiheit berufen, wenn er von der Verletzung der betreffenden vertraglichen Obliegenheit (Anzeigeobliegenheit) erst nach dem Versicherungsfall erfahren hat.

 

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Beklagte sei aufgrund der schuldhaften Verletzung der Anzeigeobliegenheit durch den Kläger leistungsfrei, ist nicht korrekturbedürftig, weil der Kläger im Antrag über die Frage des Versicherers angegeben hat, dass sich das versicherte Gebäude in einem ordnungsgemäßen Bauzustand befinde, obwohl er aufgrund des im Versteigerungsverfahren eingeholten Gutachtens wusste, dass dies unrichtig ist. Aus dem Gutachten ergibt sich nämlich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne jeden Zweifel, dass beim Abschluss des Versicherungsvertrags die Bausubstanz wertlos und das Gebäude abbruchreif und damit der Bauzustand nicht ordnungsgemäß war. Die Ansicht des Klägers, für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer sei ein Bauzustand nur dann nicht ordnungsgemäß iSd vom Versicherer gestellten Frage, wenn er „bauordnungswidrig“ sei, haben die Vorinstanzen daher ohne Korrekturbedarf verneint.