26.09.2022 Verwaltungsstrafrecht

VwGH: § 44 VwGVG – Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung trotz Parteiantrages?

Die in § 44 Abs 3 VwGVG normierten Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein; ein Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist demnach nur dann zulässig, wenn - neben der Erfüllung einer der Tatbestände des § 44 Abs 3 VwGVG - keine Partei die Durchführung einer solchen beantragt hat


Schlagworte: Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, Antrag
Gesetze:

 

§ 44 VwGVG

 

GZ Ra 2022/09/0057, 08.08.2022

 

VwGH: Das VwG hat gem § 44 Abs 1 VwGVG in Verwaltungsstrafsachen grundsätzlich eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. In den Abs 2 bis 5 leg cit finden sich zulässige Ausnahmen von der Verhandlungspflicht. Ein Absehen von der Verhandlung ist nach dieser Bestimmung zu beurteilen und zu begründen.

 

Wenn das VwG zunächst vermeint, das Unterbleiben der mündlichen Verhandlung trotz des ausdrücklichen Antrages des Revisionswerbers in seiner Beschwerde auf Durchführung einer solchen auf § 44 Abs 3 VwGVG stützen zu dürfen, übersieht es hierbei, dass die in dieser Bestimmung normierten Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen. Ein Absehen von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist demnach nur dann zulässig, wenn - neben der Erfüllung einer der Tatbestände des § 44 Abs 3 VwGVG - keine Partei die Durchführung einer solchen beantragt hat.

 

Entgegen der Ansicht des VwG kommt auch ein Absehen von der Verhandlung nach § 44 Abs 4 VwGVG nicht in Betracht. Zwar ermöglicht § 44 Abs 4 VwGVG ungeachtet eines Parteiantrages von der Durchführung einer Verhandlung abzusehen, jedoch setzt dies ua eine Beschlussfassung voraus.

 

Im Übrigen hätte die Abstandnahme von der Verhandlung auch nicht auf § 44 Abs 2 VwGVG gestützt werden können, weil das Straferkenntnis mit dem angefochtenen Erkenntnis nicht behoben wurde.

 

Da somit die Voraussetzungen für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung nach § 44 VwGVG nicht vorlagen, wäre das VwG verpflichtet gewesen, die beantragte mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Dieser Verfahrensmangel war im Hinblick auf Art 6 EMRK jedenfalls wesentlich und führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb das angefochtene Erkenntnis gem § 42 Abs 2 Z 3 lit c VwGG aufzuheben war.