19.09.2022 Verfahrensrecht

VwGH: Übermittlung von fristgebundenen Eingaben im elektronischen Weg durch Parteienvertreter (hier: an unrichtige E-Mail-Adresse)

Der Parteienvertreter hat sich bei der Übermittlung von fristgebundenen Eingaben im elektronischen Weg - wie etwa per E-Mail - zu vergewissern, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde; dabei reicht es nicht aus, wenn sich der Parteienvertreter lediglich darauf verlässt, dass nach der Absendung einer E-Mail-Nachricht keine Fehlermeldung erfolgt


Schlagworte: Wiedereinsetzung, Parteienvertreter, E-Mail, unrichtige E-Mail-Adresse, keine Fehlermeldung, Organisation des Kanzleibetriebes, Überwachungspflicht
Gesetze:

 

§ 71 AVG, § 33 VwGVG, § 7 VwGVG

 

GZ Ra 2020/13/0079, 29.06.2022

 

VwGH: Nach der stRsp des VwGH ist ein Verschulden des Vertreters einer Partei an der Fristversäumung dem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten. An berufsmäßige rechtskundige Parteienvertreter ist dabei ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher noch nie an gerichtlichen Verfahren beteiligte Personen.

 

Das Versehen eines Kanzleiangestellten eines berufsmäßigen Parteienvertreters ist diesem (und damit der Partei) dann als Verschulden anzulasten, wenn er die ihm zumutbare und nach der Sachlage gebotene Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten verletzt hat. Ein berufsmäßiger Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass auch die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Setzung von - mit Präklusion sanktionierten - Prozesshandlungen gesichert erscheint. Dabei ist durch entsprechende Kontrollen ua dafür vorzusorgen, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind. Dazu gehört nach der Rsp des VwGH auch, dass sich der Parteienvertreter bei der Übermittlung von fristgebundenen Eingaben im elektronischen Weg - wie im vorliegenden Fall etwa per E-Mail - vergewissert, ob die Übertragung erfolgreich durchgeführt wurde. Dabei reicht es nicht aus, wenn sich der Parteienvertreter lediglich darauf verlässt, dass nach der Absendung einer E-Mail-Nachricht keine Fehlermeldung erfolgt. Unterbleibt diese Kontrolle aus welchen Gründen auch immer, stellt dies ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar.

 

In den Revisionen wird nicht vorgebracht, dass der Rechtsvertreter - entsprechend der dargelegten Rsp - überprüft hätte, ob die mittels E-Mail versendeten Beschwerden die belBeh auch erreicht haben. Vor diesem Hintergrund kann dem Bundesfinanzgericht nicht entgegengetreten werden, wenn es aufgrund der unterlassenen Kontrolle des Empfangs der versendeten E-Mail-Nachricht das Vorliegen eines den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des Rechtsvertreters angenommen hat.