OGH: Zum Tendenzschutz iSd § 132 Abs 1 ArbVG
Ein Unternehmen / Betrieb dient dann „unmittelbar“ einer nach § 132 Abs 1 ArbVG geschützten Tendenz, wenn von außen erkennbar seine Arbeitsergebnisse überwiegend auf die Verfolgung eines besonders geschützten geistig-ideellen Zwecks ausgerichtet sind; diese Zwecke müssen im Unternehmen oder Betrieb selbst verfolgt werden, sodass es für den Tendenzschutz nicht ausreichend ist, wenn in der Person des Betriebsinhabers geschützte Tendenzen vorliegen
§ 132 ArbVG
GZ 9 ObA 56/22h, 30.06.2022
OGH: Den Literaturmeinungen folgend vertritt der erkennende Senat die Rechtsauffassung, dass ein Unternehmen / Betrieb dann „unmittelbar“ einer nach § 132 Abs 1 ArbVG geschützten Tendenz dient, wenn von außen erkennbar seine Arbeitsergebnisse überwiegend auf die Verfolgung eines besonders geschützten geistig-ideellen Zwecks ausgerichtet sind. Diese Zwecke müssen im Unternehmen oder Betrieb selbst verfolgt werden, sodass es für den Tendenzschutz nicht ausreichend ist, wenn in der Person des Betriebsinhabers geschützte Tendenzen vorliegen. Das Unmittelbarkeitserfordernis zielt nicht auf das Verhältnis zwischen der im Unternehmen / Betrieb verfolgten Tätigkeit und den jeweiligen schutzbedürftigen Zielpersonen ab, sondern auf das Verhältnis zwischen den mit dem Unternehmen / Betrieb verfolgten Zwecken und der bloßen Eigenschaft des Betriebsinhabers. Entscheidend ist also, welcher Betriebszweck nach außen hin in Erscheinung tritt. Ein Unternehmen oder Betrieb verfolgt dann seine ideellen Zwecke nicht unmittelbar, wenn es / er selbst nur die Aufgabe hat, die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung eines der geschützten Zwecke zu schaffen, also nur indirekt der ideellen Zielsetzung zu dienen. Keine Voraussetzung ist aber, dass die Arbeitsergebnisse auch direkt bei jenen Zielpersonen ankommen, die mit der Tendenz erreicht werden sollen. Unmittelbar dient das Unternehmen / der Betrieb vielmehr auch dann, wenn es / er von außen erkennbar andere Tendenzbetriebe in ihrer Arbeit unterstützt.
Der beklagte Verein als Dachorganisation seiner (karitativen) Mitgliedsverbände dient unmittelbar der Verfolgung eines karitativen bzw erzieherischen Zwecks, weil er – objektiv auch nach außen erkennbar – mit seinen Arbeitsergebnissen einen geschützten Zweck verwirklicht, indem er nach außen gegenüber Dritten und nach innen gegenüber seinen Mitgliedsverbänden den Weg für deren karitative und erzieherische Arbeit bereitet. Der Beklagte hat als Dachorganisation zwar neben eigenen Projekten („GSC-run operations“) überwiegend Verwaltungsangelegenheiten zu erfüllen. Diese dienen jedoch im Ergebnis dazu, den Statutenzweck zu erreichen und die einzelne Mitgliedsverbände in ihren Programmen zu unterstützen. Gerade aufgrund der Größe des Netzwerks und der weltweit operierenden Organisation ist ein gewisser übergeordneter Verwaltungsapparat notwendig. Alleiniger Zweck des Beklagten ist es, die Betreuung der hilfsbedürftigen Kinder bestmöglich zu unterstützen. Damit dient der Betrieb unmittelbar karitativen und erzieherischen Zielen, weil die für den Betrieb charakteristischen Tätigkeiten, nämlich die Schaffung eines Netzwerks für die jeweiligen Mitgliedsvereine und deren organisatorische und finanzielle Unterstützung sowie das Betreiben einiger selbständigen Programme, nach außen auch als solche erkennbar sind. Insoweit ist der Sachverhalt mit jenem der Entscheidung des deutschen Bundesarbeitsgerichts zum mangelnden Tendenzschutz des DRK-Blutspendedienstes nicht vergleichbar.
Dieses Ergebnis steht auch mit dem Sinn und Zweck des Tendenzschutzes in Einklang, nämlich dass die Realisierung einiger bestimmter ideeller Ziele nicht durch die volle Wahrnehmung der Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmer gefährdet sein soll. Nach dem Telos der Norm sollen folglich störende Eingriffe der betrieblichen Mitbestimmung vermieden werden. Somit muss dies auch dann gelten, wenn das Unternehmen / der Betrieb eine Dachorganisation von einem großen, weltweit agierenden Netzwerk darstellt. Ohne Tendenzschutz für die Dachorganisation würde genau das eintreten, was der Tendenzschutz des § 132 ArbVG zu vermeiden versucht, nämlich die Mitwirkung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsorgan und damit eine mögliche störende Einflussnahme auf die Verfolgung der geschützten Ziele.
Da der Beklagte ein Betrieb ist, welcher unmittelbar karitativen und erzieherischen Zwecken dient, besteht für den klagenden Betriebsrat nach § 132 ArbVG kein Entsenderecht in den internationalen Senat.