OGH: Zur Aufklärungspflichtverletzung durch den behandelnden Arzt (iZm zahnärztlichen Behandlung)
Die Haftung des Arztes ist bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung desjenigen Risikos beschränkt, auf das er hinweisen hätte müssen; das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben
§§ 1295 ff ABGB
GZ 5 Ob 11/22m, 19.05.2022
OGH: Grundlage für eine Haftung des Arztes wegen einer Verletzung der Aufklärungspflicht ist in erster Linie das Selbstbestimmungsrecht des Patienten, in dessen körperliche Integrität durch die ärztliche Behandlung eingegriffen wird. Der Patient kann nur dann wirksam einwilligen, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffs und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde. Voraussetzung für seine sachgerechte Entscheidung ist eine entsprechende Aufklärung durch den Arzt.
Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichende Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn ihm bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, der Arzt behauptet und beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte. Die Haftung des Arztes ist aber auch bei Annahme einer Aufklärungspflichtverletzung auf die Verwirklichung desjenigen Risikos beschränkt, auf das er hinweisen hätte müssen. Das pflichtwidrige Verhalten – der ohne ausreichende Aufklärung erfolgte und daher rechtswidrige Eingriff – muss den geltend gemachten Schaden verursacht haben.
Ausgehend von diesen, in stRsp vertretenen Grundsätzen kann der Kläger mit seiner Argumentation keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufzeigen, die im Einzelfall aus Gründen der Rechtssicherheit oder der Einzelfallgerechtigkeit vom OGH korrigiert werden müsste.
Nach dem für das Revisionsverfahren maßgeblichen Sachverhalt setzte der behandelnde Arzt am 26. 11. 2015 an den Zahnpositionen 35, 36 und 37 jeweils bukkale Auflagerungen (eine wangenseitige Auflagerung zur Verstärkung des vorhandenen Knochens) und ein Implantat. In der Zahnposition 34 nahm er lediglich einen bukkalen Aufbau vor, nachdem er in dieser Position eine Entzündung wahrgenommen und entfernt hatte. Die Auflagerungen zur Verstärkung des Knochens erfolgten mit einer Mischung aus Knochen des Klägers und Knochenersatzmaterial – ein der menschlichen Knochenstruktur ähnliches Material aus Rinderknochen (Bio-Oss); zur Fixierung wurden Titan-Pins verwendet. Mit diesen Materialien gehen keine besonderen Risiken einher. Die Implantatsetzung vom 26. 11. 2015 erfolgte lege artis. Die in Regio 34 bestehende Entzündung war, weil das Entzündungsgewebe entfernt worden war, keine Kontraindikation gegen das Setzen der Implantate und/oder die Vornahme eines bukkalen Aufbaus unter Verwendung von Bio-Oss.
Damit mag es zwar zutreffen, dass der Kläger vor dem Eingriff nicht über den Entzündungsherd an der Position 34 aufgeklärt worden war. Das Entzündungsgewebe war aber vor dem Anbringen des Materials zum Knochenaufbau entfernt worden. Ein Risiko, auf das die Ärzte der Beklagten hinweisen hätten müssen, hat sich in diesem Zusammenhang nicht verwirklicht, sodass der Kläger aus der behaupteten Aufklärungspflichtverletzung auch keinen Anspruch auf Schadenersatz ableiten kann. Ausgehend davon ist es auch nicht mehr von Bedeutung, ob er – wie das Erstgericht von ihm in der Berufung bekämpft feststellte – dem Eingriff auch zugestimmt hätte, wäre er in Kenntnis der Entzündung gewesen. Auf die in der Revision als Ergebnis einer Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung gerügten Ausführung des Berufungsgerichts zu dieser Frage muss damit nicht mehr eingegangen werden.
Ursache für die nach dem Eingriff aufgetretenen Komplikationen und die darauf zurückzuführenden Schmerzen des Klägers war nach den Feststellungen eine Osteonekrose, die für die Ärzte der Beklagten aber erst ab dem 20. 1. 2016 erkennbar war und zur Entfernung der Implantate in den Positionen 34, 35 und 36 führte. Dass der Beklagten in diesem Zusammenhang kein Fehlverhalten angelastet werden kann, zieht der Kläger in seiner Revision zu Recht nicht mehr in Zweifel.