04.07.2022 Verfahrensrecht

VwGH: Zur Bindungswirkung rechtskräftiger Bescheide

Für die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Feststellung eines Rechts bzw Rechtsverhältnisses kommt es grundsätzlich auf die Beurteilung des betreffenden Streitgegenstands als Hauptfrage im Spruch der Entscheidung, nicht jedoch auf eine Beurteilung in den Entscheidungsgründen an; maßgeblich ist also der Spruch, weil nur diesem Rechtskraft zukommen kann


Schlagworte: Bescheid, Bindungswirkung, Feststellung
Gesetze:

 

§ 58 AVG, § 59 AVG, § 60 AVG, § 38 AVG

 

GZ Ra 2020/06/0110, 17.05.2022

 

VwGH: Der VwGH hat bereits ausgesprochen, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens. Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung an eine behördliche Entscheidung. Vor diesem Hintergrund haben alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft. IZm diesem Grundsatz ist die einschlägige Rsp zu § 68 AVG in sinngemäßer Weise heranziehbar. Präjudiziell - und damit Vorfragenentscheidung im verfahrensrechtlich relevanten Sinn - ist nur eine Entscheidung, die erstens eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, dh eine notwendige Grundlage ist, und zweitens diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt. Für die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Feststellung eines Rechts bzw Rechtsverhältnisses kommt es grundsätzlich auf die Beurteilung des betreffenden Streitgegenstands als Hauptfrage im Spruch der Entscheidung, nicht jedoch auf eine Beurteilung in den Entscheidungsgründen an. Maßgeblich ist also der Spruch, weil nur diesem Rechtskraft zukommen kann.