OGH: Zum „Wohnsitz“ in der privaten Unfallversicherung
Der Wohnsitzbegriff in § 7a.6. UVB ist am Maßstab des durchschnittlich verständigen VN unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks der Bestimmung auszulegen
§ 7a UVB, § 914 ABGB, § 36 VersVG, § 66 JN
GZ 7 Ob 12/22y, 28.04.2022
OGH: Gem § 7a.1. UVB zahlt der Versicherer eine vereinbarte Kapitalleistung nach Vorliegen eines ärztlichen Befundberichts sofort aus, wenn eine im Versicherungsantrag aufgelistete Verletzung („Verletzungskatalog“) infolge eines Unfalls eintritt. Wenn jedoch die versicherte Person ihren Wohnsitz außerhalb Österreichs verlegt, besteht kein Anspruch auf garantierte Sofortauszahlung (§ 7a.6. UVB).
Rechtsbegriffe haben in der Rechtssprache eine bestimmte Bedeutung und sind daher idS auszulegen. Dieser Grundsatz kann allerdings nur dann zur Anwendung kommen, wenn den zu beurteilenden Rechtsinstituten nach hA ein unstrittiger Inhalt beigemessen wird und sie deshalb in der Rechtssprache eine einvernehmliche Bedeutung haben. Dementsprechendes hat auch für die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen verwendeten Rechtsbegriffe zu gelten. § 36 VersVG und §§ 905, 907a ABGB regeln den Erfüllungsort und knüpfen dabei ua an den Wohnsitz des VN bzw Schuldners oder Gläubigers an. Die hL verweist zur Bestimmung dieses Begriffs auf § 66 Abs 1 JN.
Der Wohnsitzbegriff in § 7a.6. UVB ist daher am Maßstab des durchschnittlich verständigen VN unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks der Bestimmung auszulegen. IdS liegt der Wohnsitz einer versicherten Person jedenfalls dort, wo sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, den bleibenden (nicht notwendig immerwährenden) Schwerpunkt ihrer familiären, beruflichen und sozialen Bindungen zu nehmen, was jeweils anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen ist. Die behördliche Meldung bildet weder eine Voraussetzung für die Annahme eines Wohnsitzes, noch kann sie für sich alleine diese Annahme begründen.
Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin ihren Arbeitsplatz in Österreich pandemiebedingt verloren. Daraufhin gab sie ihre Wohnung in Österreich auf, zog zu ihrer Schwester nach Großbritannien und arbeitete dort ab Juli 2020. Die Klägerin verlegte daher mit Ende Mai 2020 ihren Wohnsitz nach Großbritannien. Dass ihr Lebensgefährte weiterhin in Österreich arbeitete sowie wohnte und sie von Anfang an vorhatte, zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt wieder nach Österreich zurückzukehren, ändert daran nichts, ließ sie sich doch in Großbritannien in der Absicht nieder, dort ihren bleibenden (nicht notwendig immerwährenden) Schwerpunkt ihrer familiären, beruflichen und sozialen Bindungen zu nehmen. Auch die Klägerin selbst ging ganz offensichtlich von diesem Verständnis aus, hat sie doch den Unfallort in der Schadensmeldung als ihr „Zuhause“ und die Adresse in Großbritannien als ihren „Wohnort“ bezeichnet.