OGH: Zur Akteneinsicht im Verlassenschaftsverfahren
Die Erbschaftsklage ist auf Herausgabe der Erbschaft oder einer Quote davon gerichtet; der Erbschaftskläger muss daher die Höhe des Reinnachlasses nicht wissen
§ 22 AußStrG, § 219 ZPO, § 823 ABGB
GZ 2 Ob 21/22k, 16.03.2022
OGH: Die Akteneinsicht im Verlassenschaftsverfahren richtet sich nach § 22 AußStrG iVm § 219 ZPO. Danach steht den Parteien und Dritten mit Zustimmung aller Parteien die volle Akteneinsicht zu. Ohne diese Zustimmung steht Dritten das Recht auf Akteneinsicht grundsätzlich nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 219 Abs 2 ZPO zu. Nach stRsp haben Parteien im Verlassenschaftsverfahren erst dann Parteistellung, wenn sie eine Erbantrittserklärung abgegeben haben; vorher sind sie von jeder Einflussnahme auf den Gang der Abhandlung ausgeschlossen. Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Regel wird in besonders gelagerten Fällen für zulässig erachtet, va wenn der potenzielle Erbe bereits aktiv sein Interesse am Erbantritt bekundet hat und das Fehlen einer förmlichen Erbantrittserklärung auf einem Fehler im Verfahren beruht.
Einem Dritten kann die Einsichtnahme und Abschriftnahme von Prozessakten gestattet werden, wenn er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht, wobei ein allgemeines öffentliches Interesse an Information sowie ein reines Informationsbedürfnis nicht ausreicht. Das rechtliche Interesse muss ein in der Rechtsordnung gegründetes und von ihr gebilligtes Interesse sein, das über das bloß wirtschaftliche Interesse oder über Interessen der Information, der Pietät, des Anstands oder der Ethik hinausreicht. Liegt die Zustimmung der Parteien nicht vor, ist eine zweistufige Prüfung vorzunehmen: Zunächst ist zu prüfen, ob ein rechtliches Interesse des Dritten besteht. Erst wenn dieses bejaht wird, ist die Abwägung vorzunehmen, ob das Recht des Dritten dasjenige der Verfahrensparteien überwiegt. Das rechtliche Interesse an der Akteneinsicht muss konkret gegeben sein. Die Einsichtnahme und Abschriftnahme muss Bedeutung für die rechtlichen Verhältnisse des Dritten haben und die Kenntnis des betreffenden Akteninhalts muss sich auf die privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Verhältnisse des Dritten günstig auswirken, sei es auch nur dadurch, dass er instandgesetzt wird, die Beweislage für sich günstiger zu gestalten. Das rechtliche Interesse kann nur dann anerkannt werden, wenn der Dritte aus dem Akt etwas erfahren will, was er nicht weiß, aber zur Wahrung seiner Interessen wissen muss.
Der Erbschaftskläger hat hier nur vorgebracht, er wolle die Höhe des Reinnachlasses erfahren, um abschätzen zu können, ob sich die Mühen und Risiken einer Erbschaftsklage „lohnen“. Damit spricht er aber kein rechtliches, sondern ein bloß wirtschaftliches Interesse an, das die Akteneinsicht nicht rechtfertigt: Die Erbschaftsklage ist auf Herausgabe der Erbschaft oder einer entsprechenden Quote davon gerichtet (§ 823 ABGB), sodass weder die Bezeichnung einzelner Gegenstände noch die Nennung eines zu zahlenden Geldbetrags erforderlich ist. Der Erbschaftskläger muss daher zur Wahrung seiner rechtlichen Interessen die Höhe des Reinnachlasses nicht wissen.