24.05.2022 Strafrecht

OGH: Krankheitsbedingte Verhinderung und anschließende vorzeitiger Freistellung nach der Mutterschutzverordnung – Unterbleiben der Anführung der in § 260 Abs 1 Z 1 StPO bezeichneten Angaben im Hauptverhandlungsprotokoll sowie die Verfassung der schriftlichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Urteils durch einen anderen Richter als die (verhinderte) erkennende Richterin

Ein Urteil, das im Ausspruch über die Schuld oder die Strafe nicht in Rechtskraft erwachsen ist, kann idR nur vom erkennenden Richter ausgefertigt werden; ist dieser dauernd verhindert, so hat das Gericht mit Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist; nur wenn Ankläger und Angeklagter damit einverstanden sind, kann die Ausfertigung durch einen anderen Richter erfolgen


Schlagworte: Unterbleiben der schriflichen Ausfertigung des mündlich verkündeten Urteils, dauernde Verhindeung
Gesetze:

 

§ 270 StPO, § 260 StPO, Kaiserliche Verordnung vom 14. Dezember 1915 über die Abfassung und Unterfertigung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen und von Protokollen bei dauernder Verhinderung des Richters oder des Schriftführers

 

GZ 15 Os 145/21v, 19.01.2022

 

OGH: Das über die Hauptverhandlung aufzunehmende Protokoll hat gem §§ 458 zweiter Satz, 271 Abs 1 Z 7 StPO den Spruch des Urteils mit den in § 260 Abs 1 Z 1 (bis Z 3) StPO bezeichneten Angaben zu enthalten. Der im Hauptverhandlungsprotokoll vom 18. Mai 2020 erfolgte Verweis auf den schriftlichen Strafantrag genügt diesen Anforderungen nicht.

 

Gem § 14 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung vom 14. Dezember 1915 über die Abfassung und Unterfertigung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Strafsachen und von Protokollen bei dauernder Verhinderung des Richters oder des Schriftführers, RGBl 1915/372 (im Folgenden: Kaiserliche Verordnung) kann ein Urteil, das im Ausspruch über die Schuld oder die Strafe nicht in Rechtskraft erwachsen ist, idR nur vom erkennenden Richter ausgefertigt werden. Ist dieser dauernd verhindert, so hat das Gericht mit Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist. Nur wenn Ankläger und Angeklagter damit einverstanden sind, kann die Ausfertigung durch einen anderen Richter erfolgen (§ 15 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung).

 

Mit Blick auf die Gründe für die Abwesenheit der erkennenden Richterin und die fehlende Absehbarkeit ihrer Rückkehr wurde zu Recht von einer dauernden Verhinderung iSd Kaiserlichen Verordnung ausgegangen. Mangels Einhaltung der dort bestimmten Vorgehensweise verletzt die Ausfertigung des Urteils durch einen anderen Richter §§ 14 Abs 1 und 15 Abs 1 der Kaiserlichen Verordnung.

 

Da eine nachteilige Wirkung der aufgezeigten Gesetzesverletzung für den Angeklagten nicht ausgeschlossen werden kann, war deren Feststellung – wie aus dem Spruch ersichtlich – mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

 

Im Fall des Einverständnisses von Staatsanwaltschaft und Angeklagtem iSd genannten Bestimmungen wäre das Urteil mit der Konsequenz der erneuten Ingangsetzung der Rechtsmittelfrist beiden Parteien neuerlich zuzustellen.

 

Bei fehlendem Einverständnis einer der Parteien wäre mit Beschluss auszusprechen, dass das verkündete Urteil als nicht gefällt anzusehen ist, was auch die Beseitigung des darauf basierenden Beschlusses gem § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO zur Folge hätte.