10.05.2022 Strafrecht

OGH: §§ 20 ff StGB – zum Verfall

Der Verfall ist keine (Schuld voraussetzende) Strafe, sondern eine vermögensrechtliche Maßnahme eigener Art, sodass eine Anwendung der §§ 43 ff StGB von vornherein nicht in Betracht kommt


Schlagworte: Verfall, Vermögenslosigkeit, Vermögenswerte, Berechnung des Verfallsbetrags
Gesetze:

 

§ 20 StGB, § 20a StGB

 

GZ 14 Os 133/21x, 22.02.2022

 

OGH: Unter Verweis auf die Materialien zum strafrechtlichen Kompetenzpaket 2010 behauptet die Beschwerde, der Ausspruch des Verfalls hätte „unter Anwendung der vorliegenden Härteklausel des § 20a Abs 3 StGB“ unterbleiben müssen, weil die Hereinbringung des für verfallen erklärten Geldbetrags mit Blick auf die Vermögensverhältnisse des Angeklagten ohnehin scheitern würde. Sie vernachlässigt, dass die Vermögenslosigkeit des Angeklagten keinen Anwendungsfall des § 20a Abs 3 zweiter Fall StGB darstellt, weil sich die Unverhältnismäßigkeit der genannten Bestimmung allein auf den Ermittlungsaufwand, nicht aber auf die geringe Wahrscheinlichkeit der (erst im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu prüfenden [§§ 408 f StPO]) Einbringung des jeweiligen Vermögenswerts bezieht.

 

Warum aus dem Umstand, dass vom in den §§ 20 ff StGB verwendeten Begriff „Vermögenswerte“ auch ersparte Aufwendungen erfasst sind, abzuleiten sei, dass unter die Befriedigung zivilrechtlicher Ansprüche iSd § 20a Abs 2 Z 2 StGB auch die Bezahlung rückständiger, im Verwaltungsweg einzutreibender Sozialversicherungsbeiträge falle, lässt die Beschwerde offen.

 

Mit der Behauptung, das Erstgericht hätte bei der Berechnung des Verfallsbetrags zwischen „den hier gegenständlichen Abgabenschulden und gewöhnlichen zivilrechtlichen Verbindlichkeiten“ zu unterscheiden gehabt und nur die im Rahmen einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben festgelegte (und bereits beglichene) Beitragsschuld des Angeklagten heranziehen dürfen, wird eine Überschreitung der Befugnisgrenze bei der Anordnung der vermögensrechtlichen Maßnahme nicht aufgezeigt. Das Erstgericht hat im Übrigen rechtsfehlerfrei jene Sozialversicherungsbeträge aus den Jahren 2011 bis 2015, deren Einforderung durch die W* täuschungsbedingt unterlassen wurde, iSv ersparten Aufwendungen als durch die Tatbegehung erlangt gewertet und bereits erfolgte – durch „die Finanzbehörde“ im Rahmen einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben festgelegte –Nachtragszahlungen von 19.037,18 Euro in Abzug gebracht, womit auch dem von der Beschwerde angesprochenen, aus § 20a Abs 2 Z 2 und 3 StGB ableitbaren Gedanken der Subsidiarität in gesetzeskonformer Weise Rechnung getragen wurde.

 

Dass die im Rahmen einer gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben ermittelte und vom Angeklagten nachgezahlte Abgabenschuld geringer festgesetzt wurde, ist im Übrigen für die Berechnung des Verfallsbetrags – der Beschwerde zuwider – ohne Bedeutung. Denn Bezugspunkt für letztere sind gem § 20 Abs 1 StGB – und mit Blick darauf, dass der Verfall (auch) eine vollständige Entreicherung des Täters bezweckt – alle Vermögenswerte (gegenständlich: ersparten Aufwendungen), die (hier:) durch eine mit Strafe bedrohte Handlung erlangt wurden, im vorliegenden Fall somit der gesamte Betrugsschaden, von dem vorliegend die erfolgten Beitragsnachzahlungen nach Maßgabe des § 20a Abs 2 Z 3 StGB in Abzug zu bringen waren.

 

Der Einwand des Bf, er hätte den für verfallen erklärten Betrag „zu keinem Zeitpunkt wirksam“ der W* entrichten können, um einem Verfall zu entgehen, weil er diesen Betrag „niemals geschuldet hatte“, zeigt eine Überschreitung der Anordnungsbefugnis auf Basis des Urteilssachverhalts nicht auf, vernachlässigt er doch den dem Verfall zugrunde liegenden Schuldspruch.

 

Mit der Forderung bedingter Nachsicht des Wertersatzverfalls wird Nichtigkeit aus § 281 Abs 1 Z 11 StPO nicht aufgezeigt. Anzumerken bleibt jedoch, dass der Verfall keine (Schuld voraussetzende) Strafe, sondern eine vermögensrechtliche Maßnahme eigener Art ist, sodass eine Anwendung der §§ 43 ff StGB von vornherein nicht in Betracht kommt.