OGH: Zum Übereinkommen über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ)
Auch der direkte Kontakt zwischen den Gerichten der Vertragsstaaten kann eine taugliche Grundlage für die Benachrichtigungen über die Wahrnehmung der Zuständigkeit sein
Art 5 HESÜ, Art 7 HESÜ, Art 30 HESÜ
GZ 2 Ob 172/21i, 27.01.2022
OGH: Nach Art 5 Abs 1 des Übereinkommens über den internationalen Schutz von Erwachsenen (HESÜ) sind die Behörden, seien es Gerichte oder Verwaltungsbehörden, des Vertragsstaats, in dem der Erwachsene seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, zuständig, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen. Bei einem Wechsel des gewöhnlichen Aufenthalts des Erwachsenen in einen anderen Vertragsstaat sind nach Abs 2 leg cit die Behörden des Staats des neuen gewöhnlichen Aufenthalts zuständig.
Art 7 Abs 1 HESÜ sieht vor, dass die Behörden eines Vertragsstaats, dem der Erwachsene angehört, zuständig sind, Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Erwachsenen zu treffen, wenn sie der Auffassung sind, dass sie besser in der Lage sind, das Wohl des Erwachsenen zu beurteilen, und nachdem sie die nach Art 5 oder Art 6 Abs 2 zuständigen Behörden verständigt haben. Eine besondere Form der Benachrichtigung schreibt das Abkommen nicht vor, die Haager Konferenz hat aber ein Formblatt entwickelt, dessen Verwendung sie empfiehlt. Weiters bestimmt gem Art 28 HESÜ jeder Vertragsstaat eine Zentrale Behörde, welche die ihr durch dieses Übereinkommen übertragenen Aufgaben wahrnimmt, über die die Verständigungen nach dem HESÜ erfolgen können. Weder dem Übereinkommen noch der Lit ist daher zu entnehmen, dass Verständigungen ausschließlich auf diesem Weg zulässig wären. Vielmehr spricht Art 30 HESÜ, wonach die Zentrale Behörde unmittelbar oder mit Hilfe staatlicher Behörden oder sonstiger Stellen alle geeigneten Vorkehrungen trifft, (ua) um „auf jedem Weg die Mitteilungen zwischen den zuständigen Behörden bei Sachverhalten, auf die dieses Übereinkommen anzuwenden ist, zu erleichtern“, dafür, dass auch der direkte Kontakt zwischen den Gerichten bzw Behörden der Vertragsstaaten taugliche Grundlage für die im Abkommen vorgesehenen Benachrichtigungen über die Wahrnehmung der Zuständigkeit sein kann.
Hier hat das Erstgericht dem deutschen Amtsgericht am Aufenthaltsort des Betroffenen mitgeteilt, dass Handlungsbedarf besteht und gem Art 7 Abs 1 HESÜ seine Bereitschaft zur Durchführung des weiteren Erwachsenenschutzverfahrens erklärt und damit die Übernahme der Zuständigkeit bekannt gegeben. Die solcherart übernommene Zuständigkeit durfte es nach Art 7 Abs 2 und 3 HESÜ nur dann nicht ausüben, wenn die zuständige deutsche Behörde das Erstgericht unterrichtet hätte, dass sie die durch die Umstände gebotenen Maßnahmen getroffen oder entschieden habe, dass keine Maßnahmen zu treffen seien, oder ein Verfahren anhängig gemacht habe. Nach Art 7 HESÜ ist daher weiterhin von der internationalen Zuständigkeit des Erstgerichts auszugehen.