OGH: Zur Besuchsrechtsausübung
In Ausnahmefällen kann ein Besuchsrecht auch in der Form eingeräumt werden, dass der obsorgeberechtigte Elternteil das Kind dem Besuchsberechtigten zu bringen hat, wobei sowohl psychologische als auch wirtschaftliche und organisatorische Faktoren zu beachten sind
§ 159 ABGB, §§ 186 ff ABGB
GZ 1 Ob 225/21a, 25.01.2022
OGH: Die Revisionsrekurswerberin bekämpft das Kontaktrecht des Vaters va mit der Begründung, er habe gegen das Wohlverhaltensgebot des § 159 ABGB (wonach jeder Elternteil verpflichtet ist, zur Wahrung des Kindeswohls alles zu unterlassen, was das Verhältnis des minderjährigen Kindes zu anderen Personen, denen das Kind betreffende Rechte und Pflichten zukommen, beeinträchtigt oder die Wahrnehmung von deren Aufgaben erschwert) verstoßen, indem er sie mehrfach - auch vor Dritten - beleidigt und bedroht habe. Sie zeigt damit aber schon deshalb keine vom OGH zu korrigierende Fehlbeurteilung durch die Vorinstanzen auf, weil sie sämtliche gegen ihren Standpunkt sprechenden Feststellungen übergeht. Die Elternbeziehung ist nämlich durch wechselseitige Vorwürfe geprägt. Beide Elternteile werfen sich gegenseitig in verächtlicher Weise psychische Beeinträchtigungen vor und ihr Konflikt ist von gegenseitig verächtlich machenden „Psychopathologisierungen“ geprägt. Die Verschlechterung der Kooperations- und Kommunikationsbereitschaft wurde von beiden Elternteilen herbeigeführt, beide sind für die „dysfunktionale Elternebene“ verantwortlich.
Die Mutter kritisiert auch, dass sie die Kinder am Ende der Kontaktzeit beim Vater abholen muss. Sie beruft sich dazu auf den Grundsatz, wonach der Kontaktberechtigte das Kind von dessen ständigem Aufenthaltsort abzuholen und dorthin zurückzubringen habe. In der Rsp sind jedoch Ausnahmen von diesem Grundsatz durchaus anerkannt, wobei va wirtschaftliche und organisatorische Faktoren, die eine Regelung praktikabel machen, zu berücksichtigen sind, etwa bei weiteren Entfernungen das Transportproblem und der damit verbundene Zeit- und Kostenaufwand sowie berufliche Rücksichten der Eltern. Je umfangreicher die Betreuungszeiten des nicht hauptsächlich betreuenden Elternteils sind, desto eher wird auch für den mit der „Übergabe“ eines Kindes verbundenen Aufwand eine ausgewogene Regelung anzustreben sein. Ob im Einzelfall Umstände vorliegen, die es rechtfertigen, dass das Kind dem „kontaktberechtigten“ Elternteil an dessen Wohnort übergeben oder von dort abgeholt wird, begründet typischerweise keine Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG. Die Revisionsrekurswerberin behauptet zwar, dass es ihr als Ärztin nicht zumutbar sei, die Kinder einmal pro Woche beim Vater abzuholen, legt aber nicht dar, warum sie sich ihre Dienstzeiten nicht entsprechend einteilen könnte und übergeht auch, dass der Vater ebenfalls in Teilzeit berufstätig ist und sie trotz gemeinsamer Obsorge (gegen seinen Willen) mit den Kindern in einen ca 90 km entfernten Ort übersiedelte.