26.04.2022 Zivilrecht

OGH: Zur vorzeitigen Auflösung eines Studentenheimvertrages wegen COVID-19

Als wichtige Gründe iSd § 1117 ABGB kommen ua schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung der vertraglichen Bindungen unzumutbar erscheinen lassen; die Vermietung von Studentenheimplätzen hat den Zweck, den nicht am Studienort wohnhaften Studenten die Möglichkeit zu bieten, vor Ort am Unterricht an einer Hochschule teilzunehmen; dieser Zweck wurde unter diesen Umständen nicht erreicht, sodass es der Studentin auch nicht zumutbar war, ihr Studentenheimzimmer zu benützen


Schlagworte: Mietrecht, Mietverhältnis, Bestandverhältnis, vorzeitige Auflösung, wichtiger Grund, Wegfall der Nutzungsmöglichkeit, Studentenheim, COVID-19, Elementarereignis, Coronapandemie
Gesetze:

 

§ 1117 ABGB, § 1435 ABGB, § 12 StudHG

 

GZ 4 Ob 191/21y, 23.02.2022

 

OGH: Nach § 1117 ABGB ist der Bestandnehmer berechtigt, auch vor Verlauf der bedungenen Zeit vom Vertrag ohne Kündigung abzustehen, wenn das Bestandstück in einem Zustand übergeben oder ohne seine Schuld in einen Zustand geraten ist, der es zum bedungenen Gebrauch untauglich macht, oder wenn ein beträchtlicher Teil durch Zufall auf eine längere Zeit entzogen oder unbrauchbar wird. Kann der Bestandnehmer aus Gründen, die nicht von ihm zu vertreten oder seiner Sphäre zuzuordnen sind, vom Bestandgegenstand (oder zumindest einem beträchtlichen Teil desselben) nicht den bedungenen Gebrauch machen, kann er damit den Vertrag gem § 1117 ABGB vorzeitig durch außerordentliche Kündigung mit Wirkung ex nunc auflösen, gleichgültig, ob aus Verschulden des Bestandgebers oder durch Zufall. Der Sphärengrundsatz bedeutet aber nicht, dass jedes in der Sphäre des Bestandnehmers eingetretene Ereignis die Vertragsauflösung ausschließt, sondern nur ein dem Bestandnehmer „zurechenbarer“ Umstand. Nach der Rsp verliert der Bestandnehmer sein Auflösungsrecht damit nur bei Verschulden oder bei Verursachung durch einen durch einleitendes Verschulden adäquat herbeigeführten Zufall. Über den Wortlaut der Bestimmung hinaus berechtigen den Bestandnehmer auch andere wichtige Gründe, die die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen, zur vorzeitigen Auflösung. Als wichtige Gründe kommen ua schwerwiegende Änderungen der Verhältnisse in Betracht, welche die Fortsetzung der vertraglichen Bindungen unzumutbar erscheinen lassen. Bereits vorausbezahlter Zins ist vom Bestandgeber - auch für die laufende Zinsperiode - nach § 1435 ABGB im aliquoten Ausmaß zurückzuzahlen.

 

Vorliegend liegt der die vorzeitige Vertragsauflösung rechtfertigende wichtige Grund in der Coronapandemie und der daraus folgenden Schließung der Hochschule und Umstellung auf Distance Learning samt den Reisebeschränkungen zwischen dem Studienort und dem Wohnsitz der Studentin. Dabei handelt es sich um eine schicksalhafte Entwicklung, die Coronapandemie ist ein Elementarereignis, die nicht in der Sphäre der Studentin begründet liegt. Bei der Prüfung der vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrags kommt dem Zweck des konkreten Vertrags zentrale Bedeutung zu. Die Vermietung von Studentenheimplätzen hat den Zweck, den nicht am Studienort wohnhaften Studenten die Möglichkeit zu bieten, vor Ort am Unterricht an einer Hochschule teilzunehmen. Dieser Zweck wurde unter diesen Umständen nicht erreicht, sodass es der Studentin auch nicht zumutbar war, ihr Studentenheimzimmer zu benützen.