18.04.2022 Verwaltungsstrafrecht

VwGH: Einstellung des Verfahrens nach § 45 Abs 1 Z 1 VStG

Eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Abs 1 Z 1 VStG kommt nur dann in Frage, wenn die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichen; auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebt das VwG nicht ihrer aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst - soweit das möglich ist - für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen


Schlagworte: Einstellung des Verfahrens, Ermittlungsverfahren, Beweisermittlung, Mitwirkungspflicht
Gesetze:

 

§ 45 VStG, § 25 VStG, § 38 VwGVG

 

GZ Ra 2020/02/0213, 04.03.2022

 

VwGH: Eine Einstellung des Verfahrens nach § 45 Abs 1 Z 1 VStG kommt nur dann in Frage, wenn die Beweise für einen Schuldspruch nicht ausreichen.

 

Gem der Verweisungsbestimmung des § 38 VwGVG gelten im Verwaltungsstrafverfahren vor den Verwaltungsgerichten gem § 25 Abs 1 VStG das Amtswegigkeitsprinzip und gem § 25 Abs 2 VStG der Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit, wonach vom VwG von Amts wegen - unabhängig von Parteivorbringen und -anträgen - der wahre Sachverhalt durch Aufnahme der nötigen Beweise zu ermitteln ist.

 

Betreffend die Ermittlung des Sachverhaltes bedeutet dies, dass die Verwaltungsgerichte verpflichtet sind, von Amts wegen ohne Rücksicht auf Vorträge, Verhalten und Behauptungen der Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen zu erforschen und deren Wahrheit festzustellen. Der Untersuchungsgrundsatz verwirklicht das Prinzip der materiellen (objektiven) Wahrheit, welcher es verbietet, den Entscheidungen einen bloß formell (subjektiv) wahren Sachverhalt zugrunde zu legen. Der Auftrag zur Erforschung der materiellen Wahrheit verpflichtet die Verwaltungsgerichte, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. In diesem Sinne sind alle sich bietenden Erkenntnisquellen sorgfältig auszuschöpfen und insbesondere diejenigen Beweise zu erheben, die sich nach den Umständen des jeweiligen Falles anbieten oder als sachdienlich erweisen können; die Sachverhaltsermittlungen sind ohne Einschränkungen eigenständig vorzunehmen. Auch eine den Beschuldigten allenfalls treffende Mitwirkungspflicht enthebt das VwG nicht ihrer aus dem Grundsatz der Amtswegigkeit erfließenden Pflicht, zunächst selbst - soweit das möglich ist - für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen.

 

Dem vorliegenden Verwaltungsakt lässt sich lediglich entnehmen, dass die Magistratsabteilung 46 mit Schreiben des VwG vom 11. März 2020 aufgefordert wurde, eine Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen der mitbeteiligten Partei abzugeben. In der Folge teilte die Magistratsabteilung 46 mit, dass nicht sie selbst, sondern die Magistratsabteilung 33 die zuständige Stelle für Verkehrslichtsignalanlagen sei.

 

Dass das VwG weitere Erhebungen bei der zuständigen Magistratsabteilung vorgenommen oder um die Übermittlung von Unterlagen zur Funktionsweise der Rotlichtüberwachungskamera angesucht hätte, lässt sich dem vorliegenden Verwaltungsakt nicht entnehmen.

 

Es wurde vom VwG zudem nicht nachvollziehbar begründet, weshalb es ihm nicht möglich gewesen sei, Fragen zur Funktionsweise der Rotlichtüberwachungskamera an einen verkehrstechnischen Sachverständigen zu stellen.

 

Vor diesem Hintergrund ist das VwG seiner amtswegigen Ermittlungsplicht daher nicht in gesetzmäßiger Weise nachgekommen.