15.03.2022 Zivilrecht

OGH: Aufstellung eines Dreieckständers mit dem Gefahrenzeichen „Achtung Baustelle“ (§ 50 Z 9 StVO) und der Zusatztafel „Rollsplitt“ – zur Frage der Notwendigkeit des zusätzlichen Absicherns eines üblichen Dreieckständers iZm umgefallenem Dreieckständer

Die Beklagte hat durch das Aufstellen des Gefahrenzeichens „Achtung Baustelle“ (§ 50 Z 9 StVO) mit der Zusatztafel „Rollsplitt“ und die täglich durchgeführten Kontrollen die ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen; Hinweise auf eine für die Beklagte erkennbare Gefahr, dass der Dreieckständer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit umfallen könnte (und daher gesichert werden müsste), lassen sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen; auf dieser Grundlage erweist sich die Auffassung des Berufungsgerichts, das am Aufstellort vorhandene Gefälle und der „unstete Untergrund“ allein hätten eine Notwendigkeit zusätzlicher Absicherungsmaßnahmen gegen das Umfallen nicht erkennen lassen, als nicht korrekturbedürftig; außerdem ist zu berücksichtigen, dass der offenkundig schon längere Zeit aufgestellte Dreieckständer „wahrscheinlich“ erst wenige Stunden vor dem Unfall umgefallen war


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Straßenverkehrsrecht, Wegehalterhaftung, Aufstellung eines Dreieckständers, Achtung Baustelle, Rollsplitt, umgefallener Dreieckständer, grobe Fahrlässigkeit
Gesetze:

 

§ 1319a ABGB, § 50 StVO, § 52 StVO

 

GZ 2 Ob 177/21z, 25.11.2021

 

OGH: Nach § 1319a Abs 1 Satz 1 ABGB haftet der Halter eines Weges den Benützern, wenn durch seinen mangelhaften Zustand ein Schaden herbeigeführt wird und dem Halter selbst oder seinen Leuten grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen ist.

 

Im Allgemeinen ist grobe Fahrlässigkeit anzunehmen, wenn der Halter die Gefährlichkeit einer bestimmten Stelle des Weges kannte und eine zumutbare Behebung unterblieb. Der Begriff erfordert, dass ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Überlegung aller Umstände des konkreten Einzelfalls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen ist. Die Beurteilung eines konkreten Verhaltens als grob fahrlässig stellt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage dar.

 

Zur Instandhaltung der Straße gehört die Kenntlichmachung einer Gefahrenstelle durch Aufstellen von Gefahrenzeichen, wozu der Straßenerhalter nach § 98 Abs 3 StVO auch ohne behördlichen Auftrag berechtigt ist. Dazu gehören jedenfalls die Straßenverkehrszeichen iSd § 50 StVO (§ 31 Abs 1 iVm § 98 Abs 3 StVO). Die Unterlassung einer solchen Kennzeichnung ist dann grob fahrlässig, wenn sie sich nach den Umständen des Einzelfalls aus der Menge der alltäglich vorkommenden Fahrlässigkeitshandlungen als ungewöhnliche, auffallende Sorglosigkeit heraushebt und der Eintritt eines Schadens geradezu als wahrscheinlich vorhersehbar ist. Die Verpflichtung, das Verkehrszeichen aufzustellen, impliziert auch, es zu erhalten bzw für den Fall seiner Beschädigung oder Entfernung sogleich dafür Sorge zu tragen, dass es durch ein neues Verkehrsschild ersetzt wird.

 

Zur Erhaltung der gefahrlosen Benützbarkeit der Straßen gehört weiters die Verpflichtung des Straßenerhalters, iSd § 98 Abs 4 StVO (iVm § 44 Abs 1 StVO) der zuständigen Behörde die Umstände bekanntzugeben, die für die Verordnung ua eines Vorschriftszeichens (hier nach § 52 lit a Z 10a StVO) maßgebend sind.

 

Das Berufungsgericht hat das Vorliegen grober Fahrlässigkeit der Beklagten auf Grundlage der dargestellten Rsp verneint.

 

Die Beklagte hat durch das Aufstellen des Gefahrenzeichens „Achtung Baustelle“ (§ 50 Z 9 StVO) mit der Zusatztafel „Rollsplitt“ und die täglich durchgeführten Kontrollen die ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen. Hinweise auf eine für die Beklagte erkennbare Gefahr, dass der Dreieckständer mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit umfallen könnte (und daher gesichert werden müsste), lassen sich dem festgestellten Sachverhalt nicht entnehmen. Auf dieser Grundlage erweist sich die Auffassung des Berufungsgerichts, das am Aufstellort vorhandene Gefälle und der (vom Erstgericht disloziert festgestellte, aber nicht näher definierte) „unstete Untergrund“ allein hätten eine Notwendigkeit zusätzlicher Absicherungsmaßnahmen gegen das Umfallen nicht erkennen lassen, als nicht korrekturbedürftig. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass der offenkundig schon längere Zeit aufgestellte Dreieckständer „wahrscheinlich“ erst wenige Stunden vor dem Unfall umgefallen war.

 

Die Beklagte hatte nach den Feststellungen auch keinen Hinweis darauf, dass an der Unfallstelle gehäuft Unfälle aufgetreten wären. Dass (nach dem Vorbringen des Klägers „wenige Minuten“ vor dem Unfall des Klägers) ein anderer Motorradfahrer an der selben Stelle stürzte, konnte die Beklagte schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs nicht in zumutbarer Weise zu weiteren Vorkehrungen veranlassen.

 

Da das Befahren der Unfallstelle mit einem Motorrad unter Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h nach den Feststellungen „grundsätzlich leichter zu beherrschen“ gewesen wäre, fehlen insgesamt verlässliche Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte Schadenseintritte geradezu als wahrscheinlich voraussehen musste, wenn sie nicht bei der Behörde die Aufstellung eines Verbotszeichens nach § 52 lit a Z 10a StVO anregt. Nicht zu beanstanden ist in diesem Zusammenhang die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass ein „fahrdynamischer Grenzzustand“, der nach den Feststellungen auch bei Einhaltung von 50 km/h im Fall „ungünstiger Schotteranhäufung“ (bloß) nicht ausgeschlossen werden konnte, keine andere Beurteilung rechtfertigt, weil dem Kläger der Beweis für das Vorliegen grober Fahrlässigkeit iSd § 1319a ABGB obliegt.