08.02.2022 Zivilrecht

OGH: Zur Verjährung iZm Anlegerschäden

Weist die unterbliebene Aufklärung über einen Umstand einen engen inhaltlichen Bezug zu einer ebenfalls unterbliebenen oder fehlerhaften Aufklärung über einen anderen Umstand auf, rechtfertigt es dieser Zusammenhang, beide Aufklärungsfehler zu einem einheitlichen Beratungsfehler zusammenzufassen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Anlageberaterhaftung, Aufklärungspflichtverletzung, mehrere Beratungsfehler, Verjährung, Weichkosten, Blind-Pool-Beteiligung, Mehrverlustrisiko
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1299 ABGB, § 1489 ABGB

 

GZ 9 Ob 52/21v, 25.11.2021

 

OGH: Die Verjährung bezieht sich - ähnlich dem Streitgegenstand - auf den jeweils geltend gemachten Anspruch. Ein Anspruch wird durch die zu seiner Begründung vorgebrachten Tatsachen konkretisiert. Stützen die Kläger daher ihr Begehren alternativ auf verschiedene Sachverhaltsvarianten, liegen in Wahrheit mehrere Ansprüche vor, die auch verjährungsrechtlich getrennt zu behandeln sind. Verwirklichen sich in Anlegerhaftungsfällen mehrere Risiken, über die getrennt aufzuklären gewesen wäre, ist auch die Verjährung getrennt zu beurteilen („Trennungsthese“). Eine gesonderte verjährungsrechtliche Prüfung setzt voraus, dass der behauptete Beratungsfehler eine eigenständige, den geltend gemachten Anspruch begründende Pflichtverletzung bildet. Die Beurteilung, ob die mangelhafte oder fehlende Aufklärung über einen Umstand eine eigenständige, von anderen abgrenzbare Pflichtverletzung oder bloß ein Aspekt und unselbständiger Bestandteil einer einzigen Pflichtverletzung ist, hat in erster Linie nach inhaltlichen Gesichtspunkten zu erfolgen. Weist die unterbliebene Aufklärung über einen Umstand einen engen inhaltlichen Bezug zu einer ebenfalls unterbliebenen oder fehlerhaften Aufklärung über einen anderen Umstand auf, rechtfertigt es dieser Zusammenhang, beide Aufklärungsfehler zu einem einheitlichen Beratungsfehler zusammenzufassen. Es liegen dann nicht mehrere getrennte, sondern nur ein einheitlicher Beratungsfehler mit einzelnen verschiedenen Aspekten vor. Die Eigenständigkeit einer Pflichtverletzung kann sich (aber auch) aus den äußeren Umständen ergeben, wenn die fehlerhafte Beratung auf mehreren selbständigen Handlungen beruht und daher nicht mehr als ein einheitlicher Lebensvorgang anzusehen ist.

 

Es entspricht der stRsp, dass das Unterbleiben einer erforderlichen Aufklärung über „Weichkosten“ im Verhältnis zum Risiko des Totalverlusts grundsätzlich nicht als eigener abgrenzbarer Aufklärungsfehler zu qualifizieren ist, weil erhebliche „Weichkosten“ die Werthaltigkeit des Investments beeinflussen. Auch dieser Aspekt der Werthaltigkeit ist jedenfalls dann verjährt, wenn die Natur der Veranlagung oder die Wertlosigkeit der Investition insgesamt nicht mehr releviert werden können. Dies gilt auch für die angeblich unterbliebenen Aufklärung darüber, dass es sich bei mehreren Veranlagungsprodukten um sog „Blind-Pool-Beteiligungen“ gehandelt habe. Bei diesen steht zum Investitionszeitpunkt noch nicht fest, in welche Objekte überhaupt investiert werden soll. Da dieser Umstand aber in unmittelbarem Zusammenhang mit der Qualität der Beteiligung zu sehen ist, kann diesbezüglich von keinem eigenständigen Beratungsfehler ausgegangen werden.