04.01.2022 Zivilrecht

OGH: Zur Arzthaftung (hier: Gynäkologe, sowie Radiologe)

Der Gynäkologe verwehrt sich gegen eine „aktive Befunderhebungspflicht“, womit er den Umstand übergeht, dass er den Befund des Radiologen nicht nur erhalten, sondern auch abgerufen und gelesen hatte; der im Befund enthaltene Ratschlag des Radiologen über die Notwendigkeit einer weiteren Untersuchung seiner Patientin, konnte von ihm nicht so verstanden werden, dass diese durch ihn bereits in die Wege geleitet worden wäre; wenn ihm daher das Berufungsgericht ausgehend von seinem konkreten Wissensstand als Pflichtversäumnis anlastete, dass er gemessen am Maßstab eines ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnitts(fach)arztes hätte klar erkennen müssen, dass bei seiner Patientin, die sich ja wegen des Knotens primär an ihn gewendet hatte, eine dringende Notwendigkeit der Durchführung weiterer Abklärungen (etwa durch eine weitere Überweisung zur Mamma-MR) vorlag, er sie aber dennoch nicht darüber aufklärte, bedarf dies keiner Korrektur


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Arzthaftung, Gynäkologe, Radiologe, aktive Befundererhebungspflicht, Mitverschulden
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB

 

GZ 1 Ob 159/21w, 12.10.2021

 

In ihren außerordentlichen Revisionen wenden sich die Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichts jeweils mit der Begründung, wenn überhaupt, habe der jeweils andere Beklagte den Schaden zu verantworten. In beiden Rechtsmittelschriftsätzen wird vorrangig (allerdings ohne ausreichende Berücksichtigung des konkreten Ablaufs) die Frage problematisiert, wer im Verhältnis zwischen Gynäkologen und Radiologen dafür „zuständig“ ist, der Patientin den Befund zukommen zu lassen. Beide Fachärzte gehen letztlich davon aus, dass sich die Patientin um ihr Befundergebnis hätte selbst kümmern müssen; dieses Versäumnis sei ihr als Mitverschulden anzulasten.

 

OGH: Das Berufungsgericht verwies zur Haftung der Beklagten auf die Rsp des Höchstgerichts zur Aufklärungspflicht des Arztes, die auch die Pflicht umfasst, den Patienten über mögliche Gefahren und schädliche Folgen einer Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. Wenn der Arzt erkennt, dass bestimmte ärztliche Maßnahmen erforderlich sind, dann hat er den Patienten auf deren Notwendigkeit und die Risken ihrer Unterlassung hinzuweisen. Zu seiner darauf gestützten Ansicht, dass diese Pflicht im konkret zu beurteilenden Fall beide Beklagten, also sowohl den niedergelassenen Gynäkologen als auch den beigezogenen Radiologen getroffen habe, können die Beklagten keine erhebliche Rechtsfrage aufzeigen, was nur kurz zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO):

 

Der Erstbeklagte (Gynäkologe) verwehrt sich gegen eine „aktive Befunderhebungspflicht“, womit er den Umstand übergeht, dass er den Befund des Radiologen nicht nur erhalten, sondern auch abgerufen und gelesen hatte. Der im (im Übrigen ausschließlich an ihn adressierte) Befund enthaltene Ratschlag des Radiologen über die Notwendigkeit einer weiteren Untersuchung seiner Patientin, konnte von ihm nicht so verstanden werden, dass diese durch ihn bereits in die Wege geleitet worden wäre. Wenn ihm daher das Berufungsgericht ausgehend von seinem konkreten Wissensstand als Pflichtversäumnis anlastete, dass er gemessen am Maßstab eines ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnitts(fach)arztes hätte klar erkennen müssen, dass bei seiner Patientin, die sich ja wegen des Knotens primär an ihn gewendet hatte, eine dringende Notwendigkeit der Durchführung weiterer Abklärungen (etwa durch eine weitere Überweisung zur Mamma-MR) vorlag, er sie aber dennoch nicht darüber aufklärte, bedarf dies keiner Korrektur (vgl 6 Ob 17/20y Pkt 2. zur Verpflichtung eines praktischen Arztes nach Studium des [bloß abgegebenen] radiologischen Befundes den Patienten auf die indizierte weitere fachärztliche Abklärung hinzuweisen, wobei in concreto die Haftung des damals beklagten Arztes deswegen verneint wurde, weil dieser sich – anders als der Erstbeklagte im vorliegenden Fall – ausreichend, aber ergebnislos darum bemüht hatte, seinen Patienten zu kontaktieren).

 

Der Zweitbeklagte lässt bei seinen Ausführungen völlig außer Acht, dass er anlässlich der Durchführung der Sonographie seiner Patientin durch seine Äußerungen (es sehe alles gut aus, „sie solle das in Zukunft beobachten“) suggeriert hatte, es bestehe aktuell kein weiterer Abklärungsbedarf. Dem gegenüber ergaben sich aber nach Durchführung der Mammographieuntersuchung davon abweichende Erkenntnisse, wovon er sie aber nicht in Kenntnis setzte, obwohl er in jedem Fall dazu aufgerufen gewesen wäre, den durch seine „Erstdiagnose“ hervorgerufenen unrichtigen Eindruck zu korrigieren und seine ihr gegenüber abgegebene Empfehlung (des bloßen Beobachtens „in Zukunft“ als ausreichend) richtigzustellen.

 

Gerade vor dem Hintergrund dieser beschwichtigenden – nicht widerrufenen oder klargestellten – Äußerungen des Zweitbeklagten (als Fachmann) kann in der von den Umständen des Einzelfalls abhängigen Beurteilung, dieser Patientin sei kein Mitverschulden anzulasten, keine erhebliche Rechtsfrage liegen.