28.12.2021 Zivilrecht

OGH: § 1325 ABGB – zur Frage der Berücksichtigung von Zeiten der „Ohnehin-Anwesenheit“ betreuender Familienangehöriger bei der Berechnung des Pflegeentgelts, wenn die Pflege und Betreuung in einem nach dem Unfall zur Gewährleistung der Betreuung des Verletzten erworbenen Haus mit zwei gesonderten Wohneinheiten, von denen eine der Verletzte, die andere die betreuenden Familienangehörigen bewohnten, erbracht wird

Ist bei Tag und bei Nacht die Anwesenheit einer Pflegeperson im Nahebereich des Klägers zu Betreuungszwecken erforderlich und die bloße Rufbereitschaft für die Betreuung des Klägers nicht ausreichend, so gibt es auch keine Zeit einer „Ohnehin-Anwesenheit“


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Körperverletzung, Pflegeentgelt, betreuende Familienmitglieder, Ohnehin-Anwesenheit
Gesetze:

 

§ 1325 ABGB

 

GZ 2 Ob 31/21d, 21.10.2021

 

OGH: In der Vorentscheidung 2 Ob 110/16i, die den Zeitraum bis Ende des Jahres 2011 betraf, hat der Senat Folgendes ausgeführt:

 

„Zu den Zeiten tatsächlicher Pflegeleistungen kommt noch jene Zeit, in der zwar keine konkrete Pflege und Betreuung notwendig ist, aber dennoch eine Betreuungsperson anwesend sein muss, zB iSe Rufbereitschaft bzw um unvorhersehbar auftretende Betreuungsnotwendigkeiten übernehmen zu können. Auch solche Zeiten müssten bei Fremdpflege grundsätzlich abgegolten werden.

 

Handelt es sich bei der Betreuungsperson aber um einen im selben Wohnverband lebenden Angehörigen, so sind Zeiten, während derer die Pflegeperson jedenfalls in der selben Wohnung (und daher auch beim Verletzten) anwesend wäre (insbesondere während der Nacht und während der Hausarbeit), nicht zu ersetzen, weil sie keinen konkreten Schaden darstellen. Damit sind jene Zeiträume gemeint, in denen sich die Pflegeperson in denselben Räumlichkeiten, also beim Verletzten, befindet, aber nicht wegen des Verletzten, sondern aus anderen Gründen, wie eben Hausarbeit oder Nachtruhe, wie jeder andere Benutzer einer Wohnung auch. Insoweit wird also die „reine Anwesenheit/Rufbereitschaft“ nicht abgegolten.“

 

Von diesen in stRsp des OGH vertretenen Grundsätzen ausgehend hielt es der Senat damals für geboten, präzise Feststellungen nachzuholen, die eine Beurteilung iS dieser Rsp ermöglichten.

 

Der nunmehr festgestellte Sachverhalt ist jedoch anders gelagert als jener, der der Vorentscheidung zugrunde lag. Auch nach den damals relevanten Feststellungen war zwar bis Anfang 2010 die Anwesenheit einer Betreuungsperson über 24 Stunden erforderlich, seither aber nur mehr eine „entsprechende Bereitschaft, nicht unbedingt im selben Raum“. Diese Tatsachengrundlage hat sich mittlerweile aber (wieder) entscheidend geändert. Es steht nämlich fest, dass (auch in den „Indoor-Zeiten“) eine „reine Anwesenheit“ der Pflegeperson iSe bloßen „Rufbereitschaft“ für die Betreuung des Klägers nicht ausreicht, sondern dass er vielmehr die ständige Anwesenheit der Pflegeperson in seinem Nahebereich für Hilfestellungen benötigt.

 

Das vom Kläger und seinen Eltern gemeinsam bewohnte Haus verfügt über zwei Wohneinheiten, von denen eine (im Erdgeschoß) der Kläger und die andere (im Obergeschoß) seine Eltern bewohnen. Die Feststellungen zur Unfähigkeit des Klägers, Hilfe einzufordern, indizieren, dass einer der Elternteile (vorwiegend die Mutter) ständig, dh auch des Nachts, in der Wohneinheit des Klägers anwesend sein und zu seiner Betreuung zur Verfügung stehen muss. Dabei handelt es sich keineswegs um Zeiten, die der betroffene Elternteil „sowieso“ in dieser Wohnung zugebracht hätte, etwa um dort zu nächtigen oder Hausarbeiten zu verrichten, wie es die Rsp für die fehlende Ersatzfähigkeit dieser Zeiten fordert.

 

Ist daher – zusammengefasst – bei Tag und bei Nacht die Anwesenheit einer Pflegeperson im Nahebereich des Klägers zu Betreuungszwecken erforderlich und die bloße Rufbereitschaft für die Betreuung des Klägers nicht ausreichend, so gibt es auch keine Zeit einer „Ohnehin-Anwesenheit“.