30.11.2021 Zivilrecht

OGH: Zur Rechtsschutzdeckung für Erbrechts- und Pflichtteilsverfahren

Ein Erbrechts- und ein Pflichtteilsstreit resultieren aus einem einheitlichen Lebensvorgang, sodass nach Art 6.7.2 ARB 2011 ein Serienschaden vorliegt und die Versicherungssumme für beide Verfahren nur einmal zur Verfügung steht


Schlagworte: Versicherungsvertragsrecht, Rechtsschutzversicherung, Versicherungsfall, Serienschadensklausel, Erbrechtsstreit, Pflichtteilsstreit, Tod, einheitlicher Lebensvorgang
Gesetze:

 

Art 2 ARB 2011, Art 6 ARB 2011, Art 25 ARB 2011

 

GZ 7 Ob 135/21k, 15.09.2021

 

OGH: Nach Art 2.3. ARB 2011 (Art 25.4. ARB 2011) liegt der Versicherungsfall in der Rechtsschutzversicherung vor, wenn einer der Beteiligten begonnen hat oder begonnen haben soll, gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften zu verstoßen. Ist kein einheitliches Verstoßverhalten des Schädigers erkennbar, handelt es sich bei den einzelnen schädigenden Verhaltensweisen jeweils um einen rechtlich selbständigen neuen Verstoß. War nach der Sachlage beim Erstverstoß mit weiteren gleichartigen Verstößen zu rechnen, liegen idR nicht mehrere selbständige Verstöße, sondern ein einheitlicher Verstoß im Rechtssinn vor. Dies kann sowohl bei vorsätzlichen Verstößen der Fall sein, bei denen der Wille des Handelnden von vornherein den Gesamterfolg umfasst und auf dessen „stoßweise Verwirklichung“ durch mehrere gleichartige Einzelhandlungen gerichtet ist, wie auch in Fällen gleichartiger fahrlässiger Verstöße, die unter wiederholter Außerachtlassung derselben Pflichtenlage begangen werden. Es ist grundsätzlich auf den ersten Verstoß abzustellen, der den Keim des Rechtskonflikts in sich trägt, der zur Aufwendung von Rechtskosten führen kann, wenn dieser schon für sich allein betrachtet nach der Lebenserfahrung geeignet war, den Rechtskonflikt auszulösen, oder zumindest noch erkennbar nachwirkte und den endgültigen Ausbruch der Streitigkeit nach dem Vorliegen eines oder weiterer Verstöße noch mitauslöste, sohin „adäquat kausal“ war.

 

Der Erbrechtsstreit und die (Schenkungs-)Pflichtteilsklage sind in der Rechtsschutzversicherung jeweils getrennt zu beurteilende Versicherungsfälle. Nach Art 6.7.2. ARB 2011 steht die Versicherungssumme bei mehreren Versicherungsfällen, die einen ursächlich und zeitlich zusammenhängenden Lebensvorgang darstellen, nur einmal zu. Zweck dieser Serienschadenklausel ist es, mittels einer Fiktion mehrere Versicherungsfälle unter bestimmten Voraussetzungen als einen Versicherungsfall zu behandeln, und so die vereinbarte Versicherungssumme nur einmal zur Verfügung zu stellen. Sie beschränkt damit als Risikobegrenzungsklausel die Leistungspflicht des Versicherers zu Lasten des VN. Die beiden Versicherungsfälle (Streit zwischen dem Kläger und seiner Schwester iZm dem Ableben des Vaters) betreffen hier die aus dem Erbfall resultierenden vermögensrechtlichen Ansprüche des Klägers. Die beiden Versicherungsfälle stehen nicht nur in einem zeitlichen, sondern auch in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem Tod des Vaters und dem Übergang des erblasserischen Vermögens auf den Kläger und seine Schwester. Sie resultieren damit aus einem einheitlichen Lebensvorgang. Somit liegt nach Art 6.7.2 ARB 2011 ein Serienschaden vor, sodass die Versicherungssumme für beide Gerichtsverfahren nur einmal zur Verfügung steht.