OGH: § 1295 Abs 2 ABGB – zum Rechtsmissbrauch
Bei sämtlichen Varianten des Rechtsmissbrauchs wird im Wesentlichen ein „krasses Missverhältnis“ zwischen den Interessen des Rechtsausübenden und den beeinträchtigten Interessen des davon Betroffenen verlangt, oder dass überwiegend unlautere Motive für die Geltendmachung der Ansprüche bestehen
§ 1295 ABGB
GZ 4 Ob 55/21y, 22.09.2021
OGH: Missbräuchliche Rechtsausübung kann vorliegen, wenn das mit der Rechtsausübung verbundene Interesse bzw der damit verbundene Zweck verwerflich ist (Schikane, schikaneähnliche Tatbestände ua); wenn geschützte Ausübungsinteressen fehlen bzw die Rechtsausübung zweckwidrig ist; wenn ein krasses Missverhältnis der Beteiligteninteressen zugunsten dessen besteht, der sich auf sein Recht beruft; oder wenn der Erwerb eines Rechts oder einer tatsächlichen Position mit Rechtsfolgen missbilligt wird; oder weil der Handelnde ein widersprüchliches Verhalten setzt oder sein missbilligtes Verhalten die Verwirkung seines Rechts erfordert. Ein typischer Anwendungsfall einer „eigenen Rechtsverletzung“ betrifft die Situation, dass sich jemand zu seinem eigenen Vorteil auf eine Rechtsvorschrift beruft, die er gleichzeitig selbst missachtet.
Bei sämtlichen Varianten des Rechtsmissbrauchs wird aber im Wesentlichen ein „krasses Missverhältnis“ zwischen den Interessen des Rechtsausübenden und den beeinträchtigten Interessen des davon Betroffenen verlangt, oder dass überwiegend unlautere Motive für die Geltendmachung der Ansprüche bestehen. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Revisionswerberin mehrmals zitierten Rechtssatz RS0118920, wonach niemand aus dem eigenen rechtswidrigen Verhalten einen Vorteil ziehen darf. Dieser Rechtssatz geht auf die E 9 ObA 50/03y zurück, in der das schutzwürdige Interesse eines Dienstnehmers an der Geheimhaltungsverpflichtung des Dienstgebers zur Verschleierung der berechtigten Unterhaltsansprüche der Ehegattin des Dienstnehmers verneint wurde. Das Motiv für die Geltendmachung des Anspruchs war daher dort nicht nur überwiegend, sondern ausschließlich unlauter.