02.11.2021 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche, die nach Berichtstagsatzung, aber vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen, sind im laufenden Insolvenzverfahren nur im Fall der Masseunzulänglichkeit iSd § 3a Abs 4 IESG gesichert

Sind sie wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen in diesem Verfahren nicht gesichert, führt auch eine spätere weitere Insolvenz des Schuldners nicht zu einer Sicherung in dem zweiten Insolvenzverfahren


Schlagworte: Insolvenzentgelt, Eröffnung / Aufhebung des Insolvenzverfahrens, Sonderzahlungen, bestrittene Ansprüche, Masseunzulänglichkeit, spätere weitere Insolvenz
Gesetze:

 

§ 3a IESG

 

GZ 8 ObS 12/20b, 03.08.2021

 

OGH: § 3a Abs 4 IESG ordnet an, dass der Anspruch auf Insolvenzentgelt in den Fällen des Abs 2 Z 5 und Abs 3 nur dann und nur insoweit gebührt, als der zuständige Verwalter entweder schriftlich erklärt, dass die Insolvenzmasse bzw der Arbeitgeber zur Zahlung nicht oder nicht vollständig in der Lage ist oder die Masseunzulänglichkeit nach § 124a IO dem Insolvenzgericht angezeigt hat.

 

Die „Austrittspflicht“ des Arbeitnehmers verfolgt den Zweck, dass die Fortführung des Unternehmens trotz weiterer Zahlungsschwierigkeiten und die daraus resultierende Pflicht zur Begleichung der laufenden Arbeitnehmeransprüche nicht mehr zu Lasten des Fonds gehen soll. Das wesentliche Risiko liegt darin, dass der Arbeitnehmer von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses absieht, obwohl das laufende Entgelt nicht mehr aus der Masse getragen werden kann.

 

In den Fällen, in denen Masseunzulänglichkeit nicht vorliegt, sollten nach der Vorstellung des Gesetzgebers diese Ansprüche „zu 100 %“ aus der Masse zu ersetzen sein.

 

Für Arbeitnehmeransprüche, die nach der Berichtstagsatzung, aber vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen, bedeutet dies, dass

 

- das erste nicht vollständig bezahlte Entgelt, wegen dessen Vorenthaltung der vorzeitige Austritt erklärt wird, zur Gänze gesichert ist. Dabei gilt nach der Rsp, dass dann, wenn der Arbeitnehmer nachweist, dass die Verletzung der Austrittsobliegenheit auf den Umfang der Leistungspflicht keinen Einfluss hatte, die Verletzung der Austrittsobliegenheit nicht anspruchsvernichtend wirkt.

 

- sonstige Ansprüche gesichert sind, wenn der Arbeitnehmer infolge der ersten nicht vollständigen Zahlung des ihm zukommenden Entgelts ausgetreten ist und zusätzlich die Zahlungsunfähigkeit der Masse formell durch den zuständigen Verwalter gegenüber der Beklagten oder dem Insolvenzgericht deklariert wurde.

 

Durch das IRÄG 2010 wurde in § 3a Abs 2 Z 5 dahin ergänzt, dass die Austrittsobliegenheit nicht für Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche gilt. In den Erläuterungen wurde dazu ausgeführt, dass in Bezug auf die Verpflichtung zur Erklärung des berechtigten vorzeitigen Austritts und um den Anspruch auf IEG dann zu wahren, wenn der Insolvenzverwalter nicht mehr in der Lage ist, das laufende Entgelt zu zahlen, klargestellt wird, dass ein solcher Austritt (nur) hinsichtlich von strittigen Ansprüchen, über die zB ein Verfahren vor den Arbeitsgerichten anhängig ist, nicht notwendig ist.

 

Durch diese Novelle ist somit eine Klarstellung erfolgt, dass keine Austrittsobliegenheit besteht, wenn bloß Sonderzahlungen oder bestrittene Ansprüche offen sind. Allerdings lässt der Gesetzestext offen, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen derartige Ansprüche gesichert sind. Aus der Regierungsvorlage lässt sich jedoch ableiten, dass es die Intention des Gesetzgebers war, dass hinsichtlich dieser Ansprüche zwar ein Austritt nicht Voraussetzung ist, der Anspruch auf Insolvenzentgelt aber nur besteht „wenn der Insolvenzverwalter nicht mehr in der Lage ist“ zu zahlen. Entsprechend der Systematik des § 3a Abs 2 Z 5 IESG ist daher auch bei solchen Ansprüchen von einer bloßen Ausfallhaftung des Fonds auszugehen, weshalb ein Anspruch im Insolvenzentgelt nur unter den Voraussetzungen des § 3a Abs 4 IESG besteht. Insbesondere bestünde sonst das Risiko, dass allein die Bestreitung der Arbeitnehmeransprüche zu einer generellen Zahlungspflicht des Fonds für Arbeitnehmeransprüche führen würde, was der Gesetzgeber gerade vermeiden wollte.

 

Für die vom Berufungsgericht angenommene Gleichstellung dieser Ansprüche mit denen, wegen derer der Austritt erklärt wurde und die jedenfalls gesichert sind, bietet das Gesetz dagegen keine Grundlage.

 

Im konkreten Fall lag keine von § 3a Abs 4 IESG geforderte Deklaration des Masseverwalters hinsichtlich der Masseunzulänglichkeit vor. Darüber hinaus bestand nach den Feststellungen auch tatsächlich keine Masseunzulänglichkeit. Richtig ist daher mit der Revision davon auszugehen, dass die Entgeltforderung des Arbeitnehmers im ersten Insolvenzverfahren des Arbeitgebers nicht gesichert war.

 

Das führt aber entgegen der Ansicht des Klägers nicht dazu, dass in einer nachfolgenden Insolvenz ein Anspruch auf Insolvenzentgelt besteht.

 

Durch die den Anspruch auf Insolvenzentgelt einschränkende Regelung des § 3a Abs 2 Z 5 iVm Abs 4 IESG hat der Gesetzgeber in Kauf genommen, dass nicht sämtliche Arbeitsentgelte, die nach der Berichtstagsatzung anfallen, gesichert sind, sondern nur jene, für die die gesetzlichen Voraussetzungen bestehen. Liegt daher keine Masseunzulänglichkeit vor, sind mit Ausnahme des Arbeitsentgelts, wegen dem der Austritt erklärt wurde, die offenen Ansprüche des Arbeitnehmers nicht gesichert. Korrespondierend sieht für den Fall des Sanierungsverfahrens § 152a Abs 1 Z 2 IO vor, dass die Bestätigung des Sanierungsplans erst zu erteilen ist, wenn alle fälligen und feststehenden Masseforderungen gezahlt sind, sowie die bei Gericht oder Verwaltungsbehörde geltend gemachten Masseforderungen, von deren Geltendmachung der Insolvenzverwalter in Kenntnis gesetzt wurde, sichergestellt sind. Damit wird grundsätzlich gewährleistet, dass bei Annahme eines Sanierungsplans Masseforderungen, selbst wenn sie strittig sein sollten, aus der Masse befriedigt wurden bzw sobald sie festgestellt werden, befriedigt werden können.

 

Im vorliegenden Fall ist es offenbar deshalb zu keiner Sicherstellung gekommen, weil die Klage dem Insolvenzverwalter erst nach der Sanierungsplantagsatzung zugestellt wurde. Das kann jedoch nicht dazu führen, dass in einem nachfolgenden weiteren Insolvenzverfahren diese Arbeitnehmerforderungen gegenüber den Insolvenzentgeltfonds geltend gemacht werden können. Das würde in Widerspruch zu dem zuvor dargestellten Zweck des § 3a Abs 2 Z 5 IESG stehen, da das dazu führen würde, dass im ersten Insolvenzverfahren nach dem Gesetz ausdrücklich von einer Deckung ausgenommene Ansprüche bei nachträglich eintretender neuerlicher Zahlungsunfähigkeit des Schuldners Deckung finden.

 

Zusammengefasst bedeutet das, dass Sonderzahlungen und bestrittene Ansprüche, die nach der Berichtstagsatzung, aber vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens entstehen, im laufenden Insolvenzverfahren nur im Fall der Masseunzulänglichkeit iSd § 3a Abs 4 IESG gesichert sind. Sind sie wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen in diesem Verfahren nicht gesichert, führt auch eine spätere weitere Insolvenz des Schuldners nicht zu einer Sicherung in dem zweiten Insolvenzverfahren.