02.11.2021 Zivilrecht

OGH: Zum Verfahren nach dem HeimAufG

Die zulässige Freiheitsbeschränkung ist materiell, etwa nach dem Zweck und der Art des Eingriffs, seiner Intensität und Dauer möglichst exakt festzulegen; die bloße Zulässigerklärung einer Freiheitsbeschränkung durch „Zurückhalten und Androhen des Zurückhaltens sowie körperlicher Zugriffe und Festhalten“ entspricht diesen Vorgaben nicht


Schlagworte: Heimaufenthaltsrecht, Behinderte, Bewohner, Freiheitsbeschränkung, Unzulässigerklärung, Zulässigerklärung, Aufhebung, Formulierung des Spruches
Gesetze:

 

§§ 3 f HeimAufG, § 15 HeimAufG

 

GZ 7 Ob 161/21h, 29.09.2021

 

OGH: Nach § 3 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Zwangsmaßnahmen, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen oder durch deren Anordnung, unterbunden wird. Eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit liegt immer dann vor, wenn es einer Person unmöglich gemacht wird, ihren Aufenthalt nach ihrem freien Willen zu verändern. Mechanische Mittel der Freiheitsbeschränkung sind etwa unmittelbare körperliche Zugriffe mit dem Ziel, den Bewohner zurückzuhalten.

 

Entgegen der Ansicht des Rekursgerichts stellt das Verbringen der Bewohnerin in den Bewegungsraum eine Freiheitsbeschränkung dar. Die Betreuer tragen die Bewohnerin nämlich nach den Feststellungen gegen ihren Willen in den „Bewegungsraum“ oder haken sie unter, um sie dorthin zu bringen. Sie verbringen sie gegen ihren Willen in einer durch ihre Krankheit herbeigeführten Ausnahmesituation an einen bestimmten Ort, an dem sie bleiben muss. Damit wird die Bewegungsfreiheit der Bewohnerin eingeschränkt. Die körperlichen Zugriffe sind bei der elfjährigen Bewohnerin keine alterstypischen Freiheitsbeschränkungen gem § 3 Abs 1a HeimAufG.

 

Im fortzusetzenden Verfahren sind je nach Antragskonkretisierung aussagekräftige Feststellungen entweder zum Inhalt der zu prüfenden (andauernden) Anordnung und deren Umsetzung zu treffen oder zu den präzisierten vergangenen Vorfällen. Weiters ist dazu genau Stellung zu nehmen, inwiefern die Selbst- und Fremdgefahr nicht durch schonendere Mittel (auch im Vorfeld) abgewendet werden könnte oder konnte (vgl § 4 HeimAufG).

 

Sollte das Gericht eine noch aufrechte Freiheitsbeschränkung für zulässig erklären, hat es gem § 15 Abs 2 HeimAufG hiefür eine bestimmte, 6 Monate nicht überschreitende Frist zu setzen und die näheren Umstände sowie das zulässige Ausmaß der Freiheitsbeschränkung genau zu bestimmen. Die zulässige Freiheitsbeschränkung ist daher materiell, etwa nach dem Zweck und der Art des Eingriffs, seiner Intensität und Dauer, möglichst exakt festzulegen. Die bloße Zulässigerklärung einer Freiheitsbeschränkung durch „Zurückhalten und Androhen des Zurückhaltens sowie körperlicher Zugriffe und Festhalten“ entspricht diesen Vorgaben nicht.