07.09.2021 Verfahrensrecht

OGH: Parteistellung der Großeltern im Obsorgeverfahren?

Konsequenz der in § 178 ABGB normierten materiellen Rechtsposition der Eltern, Großeltern und Pflegeeltern ist deren Parteistellung im Verfahren; soll die Obsorge daher dem bisher allein obsorgeberechtigten Elternteil entzogen und einer anderen Person übertragen werden, hat der andere Elternteil jedenfalls Parteistellung; stellt sich heraus, dass beide Elternteile nicht imstande sind, die Obsorge zum Wohl des Kindes auszuüben, also eine dritte Person (dann aber vorrangig die Großeltern) damit betraut werden muss, kommt den Großeltern Parteistellung zu


Schlagworte: Außerstreitverfahren, Familienrecht, Obsorgeverfahren, Parteistellung, Großeltern, Verletzung des rechtlichen Gehörs
Gesetze:

 

§ 181 ABGB, § 178 ABGB, § 2 AußStrG, § 15 AußStrG

 

GZ 5 Ob 97/21g, 27.07.2021

 

OGH: Gem § 181 ABGB hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls nötigen Verfügungen zu treffen, sofern die Eltern durch ihr Verhalten das Wohl eines minderjährigen Kindes gefährden. Solche Verfügungen können nach § 181 Abs 2 Satz 1 ABGB – ua – vom Kinder- und Jugendhilfeträger beantragt werden. Die im Revisionsrekurs angesprochenen Fragen nach der Reichweite des § 180 Abs 1 ABGB stellen sich hier nicht, weil der Obsorgentziehungantrag des Kinder- und Jugendhilfeträgers jedenfalls eine Kindeswohlgefährdung voraussetzt, die die Vorinstanzen aufgrund der Festellungen bejaht haben. Soweit die Mutter im Revisionsrekurs eine Kindeswohlgefährdung im Fall des Verbleibs der Minderjährigen in ihrem Haushalt in Abrede stellt, ignoriert sie die den OGH auch im Außerstreitverfahren grundsätzlich bindenden Tatsachenfeststellungen. Eine abschließende rechtliche Beurteilung ist dessen ungeachtet noch nicht möglich.

 

Eine Parteistellung im Obsorgeverfahren kann sich nämlich losgelöst von der Antragslegitimation nach § 181 Abs 2 Satz 1 ABGB auch daraus ergeben, dass die Entscheidung iSd § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG unmittelbar in die rechtlich geschützte Stellung einer Person eingreift. Eine solche Rechtsposition verschafft § 178 ABGB dem (bisher nicht obsorgeberechtigten) Elternteil, den Großeltern und den Pflegeeltern. § 178 ABGB normiert im Fall der Verhinderung eines allein obsorgeberechtigten Elternteils die Übertragung der Obsorge an einen anderen Elternteil, die Großeltern (den Großelternteil) oder die Pflegeeltern (den Pflegeelternteil). Letzteres gilt nach § 178 Abs 1 letzter Satz ABGB auch, wenn beide Elternteile betroffen sind. Eltern, Großeltern und Pflegeeltern haben nach § 178 ABGB daher Vorrang vor Dritten. Nur wenn weder Eltern noch Großeltern oder Pflegeeltern mit der Obsorge betraut sind oder betraut werden können, ist eine andere geeignete Person mit der Obsorge zu betrauen (§ 204 ABGB). Die Übertragung der Obsorge an den Kinder- und Jugendhilfeträger kann dabei nur das letzte Mittel zur Hintanhaltung einer Gefährdung des Kindeswohls sein. Das Gericht hat die Obsorge dem Kinder- und Jugendhilfeträger nur dann zu übertragen, wenn sich dafür Verwandte oder andere nahestehende oder sonst besonders geeignete Personen nicht finden (§ 209 ABGB).

 

Konsequenz der in § 178 ABGB normierten materiellen Rechtsposition der Eltern, Großeltern und Pflegeeltern ist deren Parteistellung im Verfahren. Soll die Obsorge daher dem bisher allein obsorgeberechtigten Elternteil entzogen und einer anderen Person übertragen werden, hat der andere Elternteil jedenfalls Parteistellung. Stellt sich heraus, dass beide Elternteile nicht imstande sind, die Obsorge zum Wohl des Kindes auszuüben, also eine dritte Person (dann aber vorrangig die Großeltern) damit betraut werden muss, kommt den Großeltern Parteistellung zu. Das materielle Recht schützt die Stellung letzterer also dann, wenn nicht der andere Elternteil betraut wird oder auch dieser verhindert ist.

 

Im Hinblick auf die von den Vorinstanzen verneinte Eignung beider Eltern hätten sie hier daher die Parteistellung der Großeltern der Kinder berücksichtigen müssen. Aktenkundig ist, dass zumindest die Eltern der Mutter (teilweise) in die Kinderbetreuung eingebunden waren. Ob die Eltern des Vaters noch leben, ist dem Akt nicht zu entnehmen. Weder die mütterlichen noch allenfalls noch lebende väterliche Großeltern wurden aber zur Verhandlung geladen oder ihnen die Verfahrensergebnisse oder die Beschlüsse der Vorinstanzen zugestellt. Darin ist eine Verletzung des ihnen nach § 15 AußStrG zu gewährenden rechtlichen Gehörs zu erblicken.

 

Dieser Entzug des rechtlichen Gehörs zwingt zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs ist im Außerstreitverfahren zwar nur dann von Amts wegen wahrzunehmen, wenn sie Einfluss auf die Richtigkeit der Entscheidung haben konnte. Gem § 58 Abs 1 AußStrG ist vor der Entscheidung auf Aufhebung und Zurückverweisung der Außerstreitsache an eine der Vorinstanzen also grundsätzlich zu überprüfen, ob nicht eine Bestätigung selbst aufgrund der Angaben im Rechtsmittelverfahren oder eine Abänderung ohne weitere Erhebungen möglich ist. Hier waren aber die Großeltern zu einem Vorbringen gar nicht in der Lage, so dass die Verletzung ihres rechtlichen Gehörs im Revisionsrekursverfahren zur Aufhebung führen muss. Eine Sanierung durch Zustellung lediglich des rekursgerichtlichen Beschlusses iSe Vorrangs der Sacherledigung kommt hier nicht in Betracht, weil die Gehörverletzung mit der Notwendigkeit einer Verfahrensergänzung einhergeht. Die – eines entsprechenden Tatsachensubstrats entbehrende – Rechtsausführung des Erstgerichts, nahe Bezugspersonen und weitere andere geeignete Personen kämen zur Übernahme der Obsorge nicht in Betracht, reicht nicht aus.