17.08.2021 Zivilrecht

OGH: § 231 ABGB – Antrag auf Unterhaltsherabsetzung nach Übersiedlung des Unterhaltspflichtigen in die Türkei

Nur wenn der Unterhaltsschuldner aus berücksichtigungswürdigen Gründen – und nicht zur Umgehung seiner Unterhaltspflichten – Wohnsitz und Arbeitsplatz ins Ausland verlegt, kann er nicht auf ein im Inland erzielbares Einkommen angespannt werden; dabei ist nicht maßgeblich, ob sich die zu beurteilende Entscheidung des Unterhaltspflichtigen (ins Ausland zu ziehen) in rückschauender Betrachtung als bestmöglich erweist, vielmehr ist allein bedeutsam, ob sie nach den jeweils gegebenen konkreten Umständen im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennen ist


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, Antrag auf Herabsetzung, Übersiedlung des Unterhaltspflichtigen ins Ausland, Anspannungsgrundsatz, berücksichtigungswürdige Gründe
Gesetze:

 

§ 231 ABGB

 

GZ 4 Ob 26/21h, 27.05.2021

 

OGH: An die Mobilität eines Unterhaltspflichtigen werden iSd Anspannungsgrundsatzes strenge Anforderungen gestellt: So wurde in der E 4 Ob 91/10a bei einem im Ausland lebenden Unterhaltspflichtigen (wenn dort eine adäquate Erwerbsmöglichkeit fehlt, in Österreich aber eine solche bestünde) eine Pflicht zur Rückkehr ins Inland, allenfalls zum Pendeln, angenommen, wenn dem keine berücksichtigungswürdigen Umstände entgegenstehen (ähnlich bereits 6 Ob 311/05m = RS0047599 [T5]; 4 Ob 1/18b).

 

Nur wenn der Unterhaltsschuldner aus berücksichtigungswürdigen Gründen – und nicht zur Umgehung seiner Unterhaltspflichten – Wohnsitz und Arbeitsplatz ins Ausland verlegt, kann er nicht auf ein im Inland erzielbares Einkommen angespannt werden. Dabei ist nicht maßgeblich, ob sich die zu beurteilende Entscheidung des Unterhaltspflichtigen (ins Ausland zu ziehen) in rückschauender Betrachtung als bestmöglich erweist, vielmehr ist allein bedeutsam, ob sie nach den jeweils gegebenen konkreten Umständen im Entscheidungszeitpunkt als vertretbar anzuerkennen ist.

 

Ein Spannungsverhältnis zwischen dem Rechtssatz RS0047599, wonach dann, wenn dem Unterhaltspflichtigen die Begründung eines Wohnsitzes im Ausland nicht iSe Umgehung der Unterhaltspflicht vorwerfbar ist, bei Anwendung des Anspannungsgrundsatzes von den ausländischen Arbeitsmarktverhältnissen auszugehen ist, und den oben genannten Entscheidungen ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist – ausgehend von diesem Grundsatz – jeweils nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob die Übersiedlung ins Ausland vorwerfbar ist oder ob berücksichtigungswürdige Gründe vorliegen.

 

Im konkreten Fall hat das Rekursgericht das Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Gründen verneint und dabei den ihm in dieser Frage eingeräumten Ermessensspielraum nicht überschritten, wenn es bei der gebotenen Interessenabwägung zwischen den Interessen des Antragstellers und den Unterhaltsansprüchen des Kindes davon ausgegangen ist, dass der Vater des Antragstellers, bei dem dieser lebt, nicht pflegebedürftig ist, der Minderjährige sowie fast alle anderen Familienangehörigen des Antragstellers in Österreich leben, er selbst österreichischer Staatsbürger ist und 30 Jahre lang hier lebte und in das Arbeitsleben integriert war, über eine Berufsausbildung verfügt und die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten für den Antragsteller in Österreich offenbar weitaus besser sind als in der Türkei, während dem gegenüber bloß der Wunsch des Antragstellers steht, bei seinem Vater in der Türkei zu leben, den das Rekursgericht allein als nicht ausreichend ansah, um in der Güterabwägung die Unterhaltsansprüche des Kindes zu mindern.