15.06.2021 Zivilrecht

OGH: Unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG (hier: beharrliche und eigenmächtige Benutzung von Mehrflächen)

Verstöße des Mieters gegen vertragliche Verpflichtungen stellen an sich noch keinen wichtigen Kündigungsgrund dar, weil ihnen durch Klage auf Zuhaltung oder Unterlassung begegnet werden kann; dies gilt aber nur für Kündigungen aufgrund der Generalklausel des § 30 Abs 1 MRG, nicht aber für den Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, für den die vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts Tatbestandsmerkmal ist


Schlagworte: Mietrecht, Kündigung, unleidliches Verhalten, erheblich nachteiliger Gebrauch, beharrliche und eigenmächtige Benutzung von Mehrflächen
Gesetze:

 

§ 30 MRG

 

GZ 8 Ob 43/21p, 29.04.2021

 

OGH: Laufende Versuche eines Mieters, seine Benützungsrechte auf nicht in Bestand genommene Räume oder Gegenstände auszudehnen, sind nach stRsp des OGH als unleidliches Verhalten zu werten. Entscheidend ist stets das Gesamtverhalten des Mieters.

 

Richtig ist, dass der Kündigungsgrund des unleidlichen Verhaltens die mietrechtliche Konkretisierung der Unzumutbarkeit des Fortbestands des Dauerrechtsverhältnisses darstellt. Die von der Beklagten zitierten Entscheidungen 3 Ob 120/17v, 2 Ob 181/10x, 5 Ob 235/07f und 1 Ob 39/12k bringen auch nichts anderes zum Ausdruck, als dass ein beharrlich vertragswidriges Verhalten des Mieters, der seine Benützungsrechte unberechtigt auszudehnen versucht, dem Vermieter die Vertragsfortsetzung unzumutbar machen muss.

 

Der Frage, ob es sich bei einem konkreten Verhalten um ein unleidliches Verhalten nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG handelt, kommt keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO zu, weil regelmäßig eine Abwägung im Einzelfall vorzunehmen ist.

 

Die Ausführungen der Revisionswerberin, insbesondere auch zu einer sekundären Mangelhaftigkeit, gehen über die erstgerichtlichen Feststellungen hinweg, dass die Beklagte während des (mit 15. 2. 2019 beginnenden) Bestandverhältnisses mehrfach über die Mietfläche hinausgehende Flächen zu Lagerzwecken nutzte. Dies geschah nicht nur im Rahmen der Anlieferung oder Ablieferung von Waren, sondern regelmäßig über einen längeren Zeitraum hinweg, obgleich der Geschäftsführer der Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten zwischen März 2019 und September 2019 mehrfach mitteilte, dass er mit der Benutzung über die Bestandfläche hinausgehender Flächen durch die Beklagte nicht einverstanden sei. Durch die Nutzung von nicht gemieteten Flächen durch die Beklagte wurde das Finden eines Mieters für die nicht vermieteten Flächen der Lagerhalle erschwert. Mietinteressenten äußerten gegenüber dem Makler Bedenken, ob sichergestellt sei, dass die Beklagte die von ihr nicht gemietete Fläche in Zukunft freihalten werde.

 

Die Behauptung der Beklagten, ihr Verhalten überschreite nicht das Maß des Zumutbaren, ist angesichts dieses Sachverhalts nicht nachvollziehbar, zumal die Beklagte die Flächen wider besseres Wissen nutzte. Nicht entscheidend ist, ob dadurch ein konkreter wirtschaftlicher Nachteil für die Klägerin eingetreten ist.

 

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist den Feststellungen des Erstgerichts sehr wohl zu entnehmen, dass die Benutzung einer Mehrfläche von etwa 50 m² bis zur Einbringung der Aufkündigung (am 20. 9. 2019) fortgesetzt wurde: Demnach nahm der Geschäftsführer der Klägerin selbst zuletzt am 10. 9. 2019 und am 19. 9. 2019 wahr, dass ein über die Mietfläche hinausgehender Mehrbereich von 50 m² mit Fahrnissen der Beklagten belegt war. Bei seinem neuerlichen Besuch in der Halle am 23. 9. 2019 stellte er dann fest, dass das „weiterhin“ der Fall war.

 

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Vorliegens eines Kündigungsgrundes ist im Allgemeinen der Zeitpunkt der Zustellung der Aufkündigung an den Kündigungsgegner. Dass die Beklagte ihr Verhalten noch vor Zustellung der Aufkündigung (am 14. 10. 2019) dauerhaft eingestellt hätte, hat sie nicht einmal behauptet.

 

Verstöße des Mieters gegen vertragliche Verpflichtungen stellen an sich noch keinen wichtigen Kündigungsgrund dar, weil ihnen durch Klage auf Zuhaltung oder Unterlassung begegnet werden kann. Dies gilt aber nur für Kündigungen aufgrund der Generalklausel des § 30 Abs 1 MRG, nicht aber für den Kündigungsgrund des erheblich nachteiligen Gebrauchs nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG, für den die vertragswidrige Benützung des Bestandobjekts Tatbestandsmerkmal ist. Nicht ersichtlich ist, was aus der Anführung dieser Rsp für die Beklagte zu gewinnen sein soll, ist sämtlichen speziellen Kündigungstatbeständen nach § 30 Abs 2 Z 3 MRG wegen Vertragsverletzungen des Mieters doch immanent, dass durch die Vertragswidrigkeiten wichtige Interessen des Vermieters verletzt sein müssen.

 

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die festgestellte beharrliche und eigenmächtige Benutzung von Mehrflächen den geltend gemachten Kündigungsgrund verwirklicht hat, weil dieses Verhalten geeignet war, das Vertrauen der Klägerin in die Vertragstreue der Beklagten zu erschüttern, ist insgesamt nicht zu beanstanden.