OGH: Mitverschulden iZm Sturz auf erkennbar verschneitem Treppenabsatz?
Für die Klägerin war die Schneeschicht beim Treppenabgang vor dem Unfall ohne weiteres erkennbar; die Wegfläche, auf der sie sich angenähert hatte, und der Bereich um die Fahrradständer waren geräumt, sodass ihr der Wechsel des Untergrundes besonders auffallen musste; es steht auch fest, dass zum Unfallzeitpunkt Minusgrade herrschten und die Klägerin sich einer witterungsbedingten Rutschgefahr bewusst war; angesichts der sehr deutlich vorhandenen Gefahrenhinweise kann eine Verschuldensteilung von 1 : 1 zwischen den Streitteilen für angemessen erachtet werden
§ 1304 ABGB
GZ 8 Ob 102/20p, 25.03.2021
OGH: Wenn sich jemand einer ihm bekannten oder zumindest erkennbaren Gefahr aussetzt, handelt er auf eigene Gefahr. Dabei ist zwischen dem echten und dem unechten Handeln auf eigene Gefahr zu unterscheiden.
Ein echtes Handeln auf eigene Gefahr ist nur gegeben, wenn dem Gefährder keine Schutzpflichten gegenüber jenem obliegen, der die Gefahr kannte oder erkennen konnte, und dem daher eine Selbstsicherung zugemutet werden konnte. Beim echten Handeln auf eigene Gefahr ist aufgrund einer umfangreichen Interessenabwägung zu beurteilen, ob die Rechtswidrigkeit des Handelns des Gefährders entfällt.
Unechtes Handeln auf eigene Gefahr liegt dann vor, wenn den Gefährder Schutzpflichten gegenüber der sich selbst gefährdenden Person treffen. Bei Nichteinhaltung dieser Pflichten handelt der Gefährder rechtswidrig. Beim unechten Handeln auf eigene Gefahr ist Selbstgefährdung nur im Rahmen des Mitverschuldens zu prüfen.
Die Behauptungs- und Beweislast für ein anrechenbares Mitverschulden trifft die beklagte Partei.
Der in erster Instanz an die Klägerin gerichtete Verschuldensvorwurf bestand darin, dass sie den Treppenabsatz ohne jede Notwendigkeit und trotz erkennbarer winterlicher Witterungsverhältnisse betreten habe, ohne sich vorher der Gefahrlosigkeit dieses Unterfangens zu versichern.
Bei Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten liegt ein Mitverschulden nur dann vor, wenn ein sorgfältiger Mensch rechtzeitig erkennen konnte, dass Anhaltspunkte für eine solche Verletzung bestehen, und die Möglichkeit hatte, sich darauf einzustellen.
Von jedem Fußgänger ist zu verlangen, vor die Füße zu schauen, der einzuschlagenden Wegstrecke Aufmerksamkeit zuzuwenden und einem auftauchenden Hindernis oder einer gefährlichen Stelle nach Möglichkeit auszuweichen. Ein Mitverschulden scheidet dann aus, wenn die Gefährlichkeit einer Stelle bei gebotener Aufmerksamkeit nicht rechtzeitig zu erkennen ist und der Geschädigte bei rutschigem Boden auch keine überflüssigen Wege oder Schritte setzt.
Für die Klägerin war die Schneeschicht beim Treppenabgang vor dem Unfall nach den Feststellungen ohne weiteres erkennbar. Die Wegfläche, auf der sie sich angenähert hatte, und der Bereich um die Fahrradständer waren geräumt, sodass ihr der Wechsel des Untergrundes besonders auffallen musste. Es steht auch fest, dass zum Unfallzeitpunkt Minusgrade herrschten und die Klägerin sich einer witterungsbedingten Rutschgefahr bewusst war.
Unter diesen Umständen wäre es der Klägerin bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten oblegen, den Schneebereich vor den abwärts führenden Stufen nur aufmerksam und vorsichtig zu betreten, unter Prüfung der Glätte des Untergrundes und bereit, sich erforderlichenfalls an der bis zum Treppenabsatz reichenden Gitterumzäunung des Abgangs anzuhalten.
Eine solche den Verhältnissen angepasste Gehweise wurde von der Klägerin ungeachtet des Mitverschuldenseinwands der Beklagten nicht behauptet und dementsprechend nicht festgestellt. Sie hat sich deshalb nach den Grundsätzen der Rsp ein Mitverschulden anrechnen zu lassen. Angesichts der sehr deutlich vorhandenen Gefahrenhinweise kann eine Verschuldensteilung von 1 : 1 zwischen den Streitteilen für angemessen erachtet werden.