OGH: Arzthaftung – zur Wartefrist bei Schönheitsoperationen
Der Einwand eines rechtmäßigen Alternativverhaltens ist auch für die Nichteinhaltung der Wartefrist nach § 6 ÄsthOpG nicht ausgeschlossen
§§ 1295 ff ABGB, § 1299 ABGB, § 1311 ABGB, §§ 5 f ÄsthOpG
GZ 5 Ob 229/20t, 18.03.2021
OGH: Das BG über die Durchführung von ästhetischen Behandlungen und Operationen (ÄsthOpG) enthält ausdrückliche Regelungen über die ärztliche Aufklärung (§ 5 ÄsthOpG) und die Einwilligung (§ 6 ÄsthOpG). Während § 5 ÄsthOpG den notwendigen Inhalt der Aufklärung vorgibt, ordnet § 6 Abs 1 ÄsthOpG an, dass eine ästhetische Operation nur durchgeführt werden darf, wenn der Patient nach umfassender ärztlicher Aufklärung seine Einwilligung nachweislich dazu erteilt hat, und eine Frist von zumindest 2 Wochen zwischen der abgeschlossenen ärztlichen Aufklärung und der Einwilligung einzuhalten ist.
Zweck der gesetzlich angeordneten Wartefrist ist, dem Patienten eine ausreichend lange Überlegungsfrist einzuräumen, innerhalb derer alle Argumente nochmals gegeneinander abgewogen werden sollen und möglicherweise auch Zweitmeinungen eingeholt werden können. Danach soll die ästhetische Operation ohne Zeitdruck, aufgrund einer bewussten Entscheidung und erst nach reiflicher Überlegung und Reflexion durch die Patienten erfolgen. § 6 Abs 1 ÄsthOpG soll den Patienten ausreichend Zeit zur Überlegung und Reflexion geben, um eine Einwilligung in die Behandlung möglich zu machen, und bringt daher die Selbstbestimmung der Patienten zum Ausdruck. Der OGH hat bereits ausgesprochen, dass die ästhetische Behandlung oder Operation als rechtswidriger Eingriff in die körperliche Integrität beurteilt werden muss, wenn der Eingriff vor Ablauf der Frist erfolgt.
Eine vor dem Ablauf der Frist durchgeführte Operation iSd § 3 Abs 1 Z 1 ÄsthOpG ist als eigenmächtige Behandlung grundsätzlich rechtswidrig. Ein Ausschluss des Einwands eines rechtmäßigen Alternativverhaltens ist nach dem Zweck der Frist des § 6 Abs 1 ÄsthOpG jedoch nicht zu rechtfertigen: Auch wenn die Wartefrist des § 6 Abs 1 ÄsthOpG bezweckt, dass die Patienten Zeit zur Überlegung und Reflexion zur Verfügung haben und er ihnen auch ermöglichen soll, allenfalls weitere Fachmeinungen einzuholen, kann allein der Verkürzung dieser Frist kein solches Gewicht beigemessen werden, wie es in der Rsp für einen gänzlichen Ausschluss des Einwands eines rechtmäßigen Alternativverhaltens gefordert wird. Der Umstand, dass das ÄsthOpG in seinen §§ 5 und 6 die präoperativen Verhaltenspflichten des Arztes und die Anforderungen an eine wirksame Einwilligung des Patienten genau umschreibt, bietet keinen Anlass, von den allgemein für eine schadenersatzrechtliche Haftung wegen Aufklärungs- oder Einwilligungsmängeln geltenden Grundsätzen abzugehen. Nach § 11 ÄsthOpG ist das Zuwiderhandeln gegen die Anordnungen des § 6 ÄsthOpG eine Verwaltungsübertretung, sodass auch ein besonderes Bedürfnis nach Prävention, das es rechtfertigen würde, in einem solchen Fall den Einwand auszuschließen, nicht zu erkennen ist.