08.06.2021 Zivilrecht

OGH: § 231 ABGB – fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit iZm COVID 19

Das Rekursgericht stützt seine – vertretbare – Rechtsansicht ua darauf, dass die durch die COVID 19-Pandemie bedingte besondere Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung, ob dem Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder Berufsausübung ein Verschulden trifft, zu berücksichtigen ist


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit, COVID 19, Verschulden
Gesetze:

 

§ 231 ABGB

 

GZ 5 Ob 225/20d, 13.04.2021

 

OGH: Fiktive Selbsterhaltungsfähigkeit ist anzunehmen, wenn das unterhaltsberechtigte Kind nach Ende des Pflichtschulalters weder eine weitere zielstrebige Schulausbildung oder sonstige Berufsausbildung noch eine mögliche Erwerbstätigkeit betreibt, also arbeits- und ausbildungsunwillig ist, ohne dass krankheits- oder entwicklungsbedingt die Fähigkeiten fehlen, für sich selbst aufzukommen. Voraussetzung der fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit ist aber, dass das Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder Berufsausübung ein Verschulden trifft. Bei Prüfung der Frage, ob im Hinblick auf das Unterbleiben einer Ausbildung bzw Erwerbstätigkeit Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist, sind daher die Gründe zu erheben, die dazu führten, dass eine Ausbildung oder Berufstätigkeit unterblieb. Nur auf dieser Grundlage kann entschieden werden, ob dem Kind ein Verschulden zur Last fällt.

 

Ob die Voraussetzungen der fiktiven Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben sind, kann nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Eine aus Gründen der Rechtssicherheit auch im Einzelfall aufzugreifende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts zeigt der Revisionsrekurs nicht auf. Das Rekursgericht stützt seine Rechtsansicht ua darauf, dass die durch die COVID 19-Pandemie bedingte besondere Wirtschafts- und Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung, ob dem Kind am Scheitern einer angemessenen Ausbildung oder Berufsausübung ein Verschulden trifft, zu berücksichtigen ist. Diese – vom Rekursgericht als erheblich iSd § 62 Abs 1 AußStrG bezeichnete – Rechtsfrage spricht der Vater in seinem Revisionsrekurs zwar an. Er stellt diese Rechtsansicht des Rekursgerichts aber grundsätzlich gar nicht in Frage, sondern kritisiert das vom Rekursgericht im Zug dieser Betrachtung für den vorliegenden Einzelfall erzielte Ergebnis. Auch das aufgezeigte Fehlen einer ausdrücklichen Rsp des OGH zu einer solchen Fallgestaltung begründet keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG, wenn der Streitfall – wie hier – zwanglos anhand der bereits vorhandenen Leitlinien höchstgerichtlicher Rsp gelöst werden kann und gelöst wurde.