OGH: Zur Einrede der Verkürzung über die Hälfte nach Rücktritt vom Vertrag
Der Werkunternehmer kann auch nach rechtswirksamen Vertragsrücktritt des Werkbestellers (§ 918 ABGB) der auf Ersatz des Nichterfüllungsschadens gerichteten Schadenersatzklage die Einrede der laesio enormis entgegenhalten
§ 918 ABGB, § 921 ABGB, § 934 ABGB
GZ 10 Ob 3/21w, 30.03.2021
OGH: Laesio enormis kann mittels Klage, aber auch mittels Einrede geltend gemacht werden, beide Rechtsbehelfe sind jeweils auf die Aufhebung des Vertrags gerichtet; erst das rechtsgestaltende Urteil des Gerichts hebt den Vertrag auf. Die Aufhebung beseitigt nicht nur die Rechtswirkung des Vertrags rückwirkend ex tunc, sondern wirkt nach neuerer Rsp auch dinglich ex tunc, was der Einordnung als Wurzelmangel entspricht. Der Vertrag ist - wie bei der Irrtumsanfechtung - so zu betrachten, als ob er nie zustande gekommen wäre und daher nie Eigentum erworben worden wäre.
Anders sind die Wirkungen des Vertragsrücktritts: Der begründete und wirksame Rücktritt vom Vertrag (§ 918 Abs 1 ABGB) hat zwar ebenfalls die Auflösung des Vertrags - allerdings mit obligatorischer Wirkung - zwischen den Vertragsparteien ex tunc zur Folge und lässt die gegenseitigen Rechte und Pflichten aus dem aufgehobenen Vertrag rückwirkend auf den Abschlusszeitpunkt erlöschen; Erfüllungsansprüche bestehen nicht mehr, bereits erbrachte Leistungen, allenfalls ihr Wert, sind bereicherungsrechtlich herauszugeben (§ 921 ABGB).
Der Rücktritt wirkt (für sich genommen) jedoch nicht sachenrechtlich. Übertragungsakte, die im Hinblick auf den Vertrag gemacht wurden, bleiben sachenrechtlich gültig, es besteht lediglich ein schuldrechtlicher Anspruch auf Rückübereignung. Zudem lässt der Rücktritt vom Vertrag den Ersatz des durch die Nichterfüllung verursachten Schadens unberührt. Tritt der Gläubiger aufgrund des Verschuldens des Schuldners vom Vertrag zurück, kann er das Erfüllungsinteresse (etwa die konkreten Mehraufwendungen infolge Abschlusses eines gleichartigen Deckungsgeschäfts) verlangen (§ 921 ABGB). Schadenersatzrechtlich ist trotz obligatorischer Ex-tunc-Vertragsauflösung der Nichterfüllungsschaden zu ersetzen. Die Haftung beruht auf der Vertragsverletzung. Diese Haftungsgrundlage wird durch den Rücktritt nicht beseitigt. Der Werkunternehmer kann daher auch nach rechtswirksamem Vertragsrücktritt des Werkbestellers (§ 918 Abs 1 ABGB) der auf den Ersatz des Nichterfüllungsschadens gerichteten Schadenersatzklage (§ 921 ABGB) die Einrede der laesio enormis erfolgreich entgegenhalten.