OGH: Zum Verhältnis von „mangelnder Neuheit“ und „Erfingungshöhe“ (PatG)
Der Einwand der mangelnden Neuheit muss - bei gegebenem sachlichen Zusammenhang - in einer zweiten Stufe (nachdem die Neuheit bejaht wurde) zur Prüfung (auch) der Erfindungshöhe führen
§ 102 PatG, §§ 139 f PatG
GZ 4 Ob 167/20t, 18.02.2021
OGH: Im österreichischen PatG ist das Einspruchsverfahren vom Dispositionsgrundsatz geprägt. Nicht geltend gemachte Einspruchsgründe sind nicht zu berücksichtigen. Der Einspruchsgrund braucht aber nicht explizit genannt zu werden, sofern er sich aus dem Zusammenhang klar ergibt. Sofern dieselben Tatsachen zu einer anderen Rechtsfolge führen, ist eine Änderung der Anspruchsgrundlage zulässig. Die Grenzen der Entscheidungsbefugnis werden nämlich nicht nur durch den Inhalt des Sachantrags, sondern auch durch das den Antrag begründende Tatsachenvorbringen abgesteckt. Das Gericht ist deshalb nicht gehindert, dem Antrag aus einem anderen Rechtsgrund als dem ausdrücklich genannten - und durch Sachvorbringen geltend gemachten - zu entsprechen.
Es besteht ein enger sachlicher Zusammenhang zwischen mangelnder Neuheit und Erfindungshöhe: Die mangelnde Neuheit wird als der Spezialfall einer „Erfindungshöhe von Null“ angesehen. Bei mangelnder Neuheit kommt es auf eine Erfindungshöhe (Erfindungseigenschaft, erfinderische Tätigkeit, Nichtnaheliegen) nicht mehr weiter an, weil Erfindungshöhe Neuheit zur Voraussetzung hat. Der Einwand der mangelnden Neuheit muss daher - bei gegebenem sachlichen Zusammenhang - in einer zweiten Stufe (nachdem die Neuheit bejaht wurde) zur Prüfung (auch) der Erfindungshöhe führen.
Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin bereits im Einspruch ausdrücklich auch das Fehlen einer erfinderischen Tätigkeit gerügt, indem sie vorbrachte, der Gegenstand der angefochtenen Anmeldung entbehre gegenüber dem vorbekannten Stand der Technik der Neuheit und Erfindungseigenschaft sowie eines überraschenden, eine Patentierbarkeit begründenden Effekts. Dass sich in der Folge ihre Rechtsausführungen auf die mangelnde Neuheit beschränkten, war dem Umstand der Vermeidung von Argumentationswidersprüchen geschuldet und machte eine gesonderte Begründung des Einwands der mangelnden erfinderischen Tätigkeit entbehrlich. Das Sachvorbringen der Antragstellerin ist daher auch unter dem Gesichtspunkt der erfinderischen Tätigkeit zu prüfen.