30.03.2021 Strafrecht

OGH: Einspruch wegen Rechtsverletzung iSd § 106 StPO (iZm Entnahmen von Aktenstücken aus den Ermittlungsakten)

Grundsätzlich kann es nicht nur auf tatsächliche Kenntnisnahme der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht ankommen, sondern muss die rechtliche Wertung ausschlaggebend sein, ob alle Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, um mit Grund verlangen zu können, dass der Betreffende das Faktum (Anordnung oder Vorgang) auch bewusst zur Kenntnis nehmen kann


Schlagworte: Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaft, Einspruch wegen Rechtsverletzung, Frist
Gesetze:

 

§ 106 StPO

 

GZ 11 Os 100/20s, 23.12.2020

 

OGH: Gem § 106 Abs 1 StPO steht jeder Person, die behauptet, in einem Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt worden zu sein, weil ihr die Ausübung eines Rechts nach diesem Gesetz verweigert (Z 1) oder eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt (Z 2) wurde, der an das Gericht gerichtete Einspruch wegen Rechtsverletzung zu. Nach § 106 Abs 3 zweiter Satz StPO ist im Einspruch anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Gem Abs 3 erster Satz leg cit ist der Einspruch binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Rechtsverletzung bei der Staatsanwaltschaft einzubringen.

 

Weshalb – obwohl eine Rechtsverletzung durch Entnahmen von Aktenteilen am 21. November 2018 und am 21. Dezember 2018 behauptet wird, von der die Erneuerungswerber durch Akteneinsicht am 10. Jänner 2019 Kenntnis erlangt hätten – ein rechtzeitiger Einspruch vorliegen sollte, machen die Anträge nicht deutlich.

 

Grundsätzlich kann es nicht nur auf tatsächliche Kenntnisnahme ankommen, sondern muss die rechtliche Wertung ausschlaggebend sein, ob alle Voraussetzungen dafür geschaffen wurden, um mit Grund verlangen zu können. dass der Betreffende das Faktum auch bewusst zur Kenntnis nehmen kann.

 

Die Argumentation der Erneuerungswerber, der Einspruch habe nicht die Entnahme von Aktenbestandteilen als solches kritisiert, ist angesichts der Ausführungen im angesprochenen Schriftsatz nicht nachvollziehbar. Gleiches gilt für die mit Spekulationen über den Inhalt dieser Schriftstücke verbundene Behauptung, erst eine am 8. Mai 2019 (in Entsprechung von Anträgen der Erneuerungswerber) erfolgte Übermittlung von drei zunächst klassifizierten, jedoch nicht entnommenen Dokumenten habe die Einspruchsfrist ausgelöst.

 

Im Übrigen entfaltet die Begründung für die Entnahme von Aktenbestandteilen (militärische Geheimnisse) keine Bedeutung für einen allfälligen Grundrechtseingriff durch diesen Vorgang. Dass nicht entnommene Aktenbestandteile ebenfalls diesen Kriterien entsprochen hätten, kann unter dem Gedanken des Schutzes der dadurch gerade nicht verletzten Waffengleichheit gleichermaßen dahinstehen.

 

Die Behauptung, die Entnahme von Aktenbestandteilen habe zu „einem dauerhaft rechtswidrigen Zustand“ geführt, hat fallbezogen zutreffend bereits das Landesgericht widerlegt. Die verfehlte Argumentation der Einspruchswerber steht überdies der Fristennorm des § 106 Abs 3 erster Satz StPO unvereinbar entgegen.