16.03.2021 Zivilrecht

OGH: Zur Solidarhaftung von Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen

Ein EVU muss sich bei Verfolgung eigener Ansprüche ein Mitverschulden oder eine Betriebsgefahr auf Seiten des EIU anrechnen lassen


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Gefährdungshaftung, Eisenbahn, Betriebsunternehmer, Eisenbahninfrastrukturunternehmen, Eisenbahnverkehrsunternehmen, Solidarhaftung
Gesetze:

 

§ 5 EKHG, § 11 EKHG, § 19 EKHG

 

GZ 2 Ob 30/20f, 28.01.2021

 

OGH: Nach stRsp haften EIU und EVU jedenfalls dann, wenn sich eine im Zusammenwirken dieser Unternehmen begründete Betriebsgefahr verwirklicht hat, als „mehrere Betriebsunternehmer“ iSd § 5 Abs 2 EKHG solidarisch. Nur wenn die Gefahr ausnahmsweise nicht auf einem Zusammenwirken von EIU und EVU beruht, haftet allein jenes Unternehmen, dessen Betrieb die Gefahr (allein) zuzurechnen ist. Unfälle, die sich bei der schienengebundenen Fortbewegung einer Eisenbahn ereignen, sind idR sowohl dem EIU als auch dem EVU zuzurechnen und begründen daher deren Solidarhaftung.

 

Im konkreten Fall war der Unfall Folge des Befahrens der Infrastruktur des EIU durch einen Zug des EVU. Es verwirklichte sich daher die Gefahr der schienengebundenen (EIU) Fortbewegung (EVU) der Eisenbahn. An der Anwendbarkeit des EKHG auch auf das EVU besteht kein Zweifel; das EVU und das EIU sind Mitbetriebsunternehmer iSd § 5 EKHG.

 

In einem solchen Fall stehen EIU und EVU dem Geschädigten als Einheit gegenüber; sie können sich ihm gegenüber nicht darauf berufen, dass eines von ihnen den strittigen Schaden im Innenverhältnis überwiegend oder sogar allein tragen müsste. Ein Fehlverhalten einer Person, die beim Betrieb des EIU oder EVU tätig war, ist dann auch dem jeweils anderen Unternehmen zuzurechnen. Diese wechselseitige Zurechnung gilt auch für die (erweiterte) Verschuldenshaftung nach § 19 Abs 2 EKHG. Eine bei isolierter Betrachtung mögliche Haftungsbefreiung nach § 9 EKHG scheitert daher, wenn in der Sphäre eines Mitbetriebsunternehmers ein (insofern relevanter) Mangel vorliegt. Denn auch hier darf die Aufspaltung des Eisenbahnbetriebs nicht zu einer Schlechterstellung von geschädigten Dritten führen. Wem die Person tatsächlich zuzurechnen ist, hat (nur) Bedeutung für den Regress zwischen EIU und EVU. Das EVU und das EIU müssen als Mitbetriebsunternehmer gegebenenfalls auch den Regressanspruch eines dritten Unfallbeteiligten (§ 11 Abs 1 EKHG) ohne Rücksicht darauf befriedigen, in welchem Verhältnis sie intern zu diesem Regress beizutragen haben. Denn für einen Dritten ist regelmäßig nicht erkennbar, welchem von mehreren Betriebsunternehmern oder Haltern der Schaden letztlich zuzurechnen ist. EIU und EVU stehen daher auch einem regressberechtigten Dritten als Einheit gegenüber. Aufgrund dieser Erwägungen muss sich aber auch ein EVU bei Verfolgung eigener Ansprüche ein Mitverschulden oder eine Betriebsgefahr auf Seiten des EIU anrechnen lassen. Bei der Abwägung nach § 11 Abs 1 Satz 2 EKHG im Verhältnis zwischen einem EVU und dem haftpflichtigen Lenker / Halter eines Kraftfahrzeugs fällt daher ein in der Sphäre des EIU vorliegendes Verschulden oder eine dort verwirklichte Betriebsgefahr (auch) dem EVU anspruchsmindernd zur Last.