09.03.2021 Verfahrensrecht

OGH: Zu den Fragen, ob Klagen eines Wohnungseigentümers, die einem anderen Wohnungseigentümer verbieten wollen, sein Wohnungseigentumsobjekt, insbesondere dessen Widmung eigenmächtig ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, 1. Art 24 Nr 1 Unterabs 1 erste Alternative EuGVVO 2012, 2. in eventu Art 7 Nr 1 Buchstabe a EuGVVO 2012 unterliegen

Der ausschließliche Gerichtsstand nach Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012 steht nur dann zur Verfügung, wenn die Widmung nicht nur den anderen Wohnungseigentümern, sondern auch dritten Personen entgegengehalten werden kann; die Wirkung der zwischen den Wohnungseigentümern privatrechtlich geregelten Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts beschränkt sich nicht auf die Wohnungseigentümer


Schlagworte: Internationales Verfahrensrecht, Wohnungseigentumsrecht, besondere / ausschließliche Zuständigkeiten, eigenmächtige Widmungsänderung
Gesetze:

 

Art 24 EuGVVO 2012, Art 7 EuGVVO 2012, WEG, § 523 ABGB

 

GZ 5 Ob 216/20f, 21.01.2021

 

OGH: Der EuGH hat auf diese Fragen wie folgt geantwortet (C-433/19):

 

„1. Art 24 Nr 1 der Verordnung (EU) Nr 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die Klage eines Wohnungseigentümers, mit der einem anderen Wohnungseigentümer der selben Liegenschaft verboten werden soll, die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung seines Wohnungseigentumsobjekts eigenmächtig und ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, ein Verfahren ist, welches 'dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen' im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat, soferne diese Widmung nicht nur den Miteigentümern dieser unbeweglichen Sache, sondern jedermann entgegengehalten werden kann, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

2. Art 7 Nr 1 Buchst a der Verordnung Nr 1215/2012 ist dahin auszulegen, dass dann, wenn die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts nicht jedermann entgegengehalten werden kann, die Klage eines Wohnungseigentümers, mit der einem anderen Wohnungseigentümer der selben Liegenschaft verboten werden soll, die Widmung seines Wohnungseigentumsobjekts eigenmächtig und ohne Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu ändern, ein Verfahren ist, das 'ein[en] Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag' im Sinne dieser Bestimmung zum Gegenstand hat. Unter Vorbehalt einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht ist der Erfüllungsort der Verpflichtung der Ort, an dem das Wohnungseigentumsobjekt gelegen ist.“

 

Zur ersten Frage, ob die auf Unterlassung der widmungswidrigen Verwendung eines Wohnungseigentumsobjekts gerichtete Klage ein dingliches Recht an einer unbeweglichen Sache iSv Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012 zum Gegenstand hat, und damit der in dieser Bestimmung geregelte ausschließliche Gerichtsstand der gelegenen Sache verwirklicht ist, ist nach Auffassung des Gerichtshofs zu prüfen, ob die in einem Wohnungseigentumsvertrag vereinbarte Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts – hier zu Wohnzwecken – gegenüber jedermann wirke. Dies wäre dann der Fall, wenn die Widmung nicht nur den anderen Wohnungseigentümern, sondern auch Personen entgegengehalten werden könnte, die nicht als Parteien dieser Vereinbarung anzusehen seien.

 

Zur Antwort auf die zweite Frage führte der Gerichtshof aus, dass der Eintritt in eine Eigentümergemeinschaft durch den Erwerb einer Eigentumswohnung samt Miteigentumsanteilen eine freiwillig eingegangene rechtliche Verpflichtung sei, in der sich der Wohnungseigentümer mit dem Aufrechterhalten sämtlicher Bestimmungen des Wohnungseigentumsvertrags einverstanden erkläre, weshalb die Wohnungseigentümer aufgrund des Wohnungseigentumsvertrags in einer freiwillig eingegangenen vertraglichen Beziehung iSd Art 7 Nr 1 Buchst a der EuGVVO 2012 stünden. Die Pflicht, an der durch die Widmung definierten Nutzung festzuhalten, gehöre zum absolut geschützten Recht jedes Wohnungseigentümers. Diese Pflicht solle die ungestörte Nutzung des Wohnungseigentumsobjekts durch den Eigentümer gewährleisten und sei am Ort der gelegenen Sache zu erfüllen. Dieses Ergebnis entspreche auch dem Ziel der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsvorschriften, weil ein durch den Wohnungseigentumsvertrag an eine Widmung gebundener Wohnungseigentümer vernünftigerweise erwarten könne, vor den Gerichten des Ortes der gelegenen Sache verklagt zu werden. Dieses Gericht sei auch am besten geeignet, um über diesen Rechtsstreit zu entscheiden.

 

Der ausschließliche Gerichtsstand nach Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012 steht nach der Entscheidung des Gerichtshofs nur dann zur Verfügung, wenn die Widmung nicht nur den anderen Wohnungseigentümern, sondern auch dritten Personen entgegengehalten werden kann.

 

Die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts bestimmt sich ausschließlich nach der privatrechtlichen Einigung der Wohnungseigentümer, die idR im Wohnungseigentumsvertrag erfolgt. Die Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts zu einer bestimmten Nutzung und das Festhalten an der dadurch definierten Nutzung gehört zu den absolut geschützten Rechten jedes Wohnungseigentümers. Eine Änderung der Widmung von Wohn- auf Geschäftszwecke (und umgekehrt), die eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Interessen anderer Wohnungseigentümer mit sich bringen könnte, bedarf der Zustimmung aller übrigen Wohnungseigentümer oder der Genehmigung durch den Außerstreitrichter in einem Verfahren nach § 52 Abs 1 Z 2 WEG. Eine – hier beanstandete – wiederholte und kurzfristige Vermietung von als Wohnung gewidmeten Wohnungseigentumsobjekten zu touristischen Zwecken kann nach der Rsp eine derartige genehmigungspflichtige Änderung sein.

 

Gegen eine eigenmächtige Widmungsänderung kann jeder andere Wohnungseigentümer mit Eigentumsfreiheitsklage nach § 523 ABGB vorgehen. Diese Klage steht nach der Rsp sowohl gegen den änderungswilligen Wohnungseigentümer als auch gegen Dritte zur Verfügung, wie gegen den Mieter eines zu Wohnzwecken gewidmeten Wohnungseigentumsobjekts, in dem ein Unternehmen betrieben wird.

 

Die Wirkung der zwischen den Wohnungseigentümern privatrechtlich geregelten Widmung eines Wohnungseigentumsobjekts beschränkt sich daher nicht auf die Wohnungseigentümer. Der Kläger beruft sich zu Recht auf den Gerichtsstand der gelegenen Sache nach Art 24 Nr 1 EuGVVO 2012.