VwGH: Schubhaft – Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz in Verzögerungsabsicht
Im Verfahren der gem § 76 Abs 6 erfolgten Aufrechterhaltung einer nach § 76 Abs 2 Z 2 FPG verhängten Schubhaft darf va berücksichtigt werden, dass der Fremde schon vor seiner Festnahme mehrfach Gelegenheit gehabt hat, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen; diese Tatsache zählt nämlich nach Art 8 Abs 3 lit d der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU), der mit § 76 Abs 6 FPG umgesetzt wird, ausdrücklich zu den objektiven Kriterien für die Annahme einer Verzögerungs- oder Vereitelungsabsicht
§ 76 FPG, Art 8 Aufnahme-RL
GZ Ra 2020/21/0079, 15.12.2020
VwGH: Im vorliegenden Fall war keine Schubhaft nach § 76 Abs 2 Z 1 FPG, sondern die gem § 76 Abs 6 erfolgte Aufrechterhaltung einer nach § 76 Abs 2 Z 2 FPG verhängten Schubhaft zu beurteilen. Der VwGH hat zwar schon ausgesprochen, dass auch in solchen Konstellationen, in denen ebenfalls die Verfahrenssicherung im Vordergrund steht, insoweit eine besondere Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden hat, als dabei auch die Frage der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens bzw eines dem Asylwerber weiterhin zukommenden „Bleiberechts“ einzubeziehen ist. Da das Asylverfahren des Revisionswerbers aber schon mit Bescheid des BFA vom 9. November 2019 - etwas mehr als zwei Wochen nach Beginn der Schubhaft - erstinstanzlich und schließlich mit Erkenntnis des BVwG vom 2. Dezember 2019 rechtskräftig negativ erledigt wurde, war an der Verhältnismäßigkeit der Schubhaft unter diesem Gesichtspunkt nicht zu zweifeln.
Soweit in der Zulässigkeitsbegründung der Revision weiters vorgebracht wird, es hätte die regelmäßige Meldung auf einer Polizeistation als gelinderes Mittel ausgereicht, wird außer Acht gelassen, dass der Revisionswerber nach den unbestrittenen Feststellungen des BVwG über keine nennenswerten Bindungen in Österreich verfügte und schon bisher eine große Mobilität durch die illegale Reise in mehreren Staaten zeigte. Das stand fallbezogen der Anordnung eines gelinderen Mittels anstelle der Schubhaft entgegen.
Nicht in der gesonderten Darstellung der Gründe für die Zulässigkeit der Revision, sondern nur in den Revisionsgründen wird dann noch in Abrede gestellt, dass der Antrag auf internationalen Schutz ausschließlich zum Zweck der Verzögerung der Abschiebung gestellt worden sei. Dazu ist der Vollständigkeit halber anzumerken, dass die diesbezügliche, unter Verwertung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vorgenommene Beweiswürdigung des BVwG nicht als unschlüssig anzusehen ist. Dabei durfte va berücksichtigt werden, dass der Revisionswerber schon vor seiner Festnahme mehrfach Gelegenheit gehabt hätte, einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Diese Tatsache zählt nämlich nach Art 8 Abs 3 lit d der Aufnahme-RL (Richtlinie 2013/33/EU), der mit § 76 Abs 6 FPG umgesetzt wird, ausdrücklich zu den objektiven Kriterien für die Annahme einer Verzögerungs- oder Vereitelungsabsicht.