OGH: Zur Beschränkung der Deckungspflicht nach Art 6.6.1. ARB 2000
Art 6.6.1. ARB 2000, wonach „in gerichtlichen (…) Verfahren (…) Nebenleistungen des Rechtsanwalts maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt (werden)“, ist dahin auszulegen, dass sich diese Einschränkung nur auf die (auch vorprozessualen) Kosten der Rechtsverfolgung des (dann) gerichtlich geltend gemachten Anspruchs bezieht, nicht aber (auch) auf außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung von Ansprüchen, die erfolgreich ohne Prozess durchgesetzt wurden; letztgenannte außergerichtlichen Kosten sind gesondert im Lichte ihrer Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Angemessenheit zu prüfen
Art 6.6.1. ARB 2000
GZ 7 Ob 96/20y, 16.09.2020
OGH: Welche Leistungen der Versicherer erbringt und welche Kosten er bezahlt, regelt im Wesentlichen Art 6. ARB 2000. Demnach übernimmt – soweit hier relevant – der Versicherer Kosten, die notwendig sind, das sind die Kosten einer zweckentsprechenden und nicht mutwilligen Rechtsverfolgung, bei der hinreichende Aussicht auf deren Erfolg besteht. Der Versicherer bezahlt die angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts bis zur Höhe des RATG oder sofern dort die Entlohnung für anwaltliche Leistungen nicht geregelt ist, bis zur Höhe der AHR; in gerichtlichen Verfahren werden Nebenleistungen des Rechtsanwalts maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt.
Das Berufungsgericht und der Kläger rücken die Frage in den Vordergrund, dass die ARB keine konkrete Regelung enthalten würden und auch keine Rsp zur Frage vorliege, wie sich ein – hier vorgelegener – Rechtsanwaltswechsel bei der vorprozessualen Rechtsverfolgung einerseits und der anschließenden prozessualen Vertretung andererseits auf die Deckungspflicht des Versicherers auswirke. Dazu ist klarzustellen, dass auch für diesen Fall grundsätzlich die Regelung des Art 6.6.1. ARB 2000 gilt und dass der Kläger besondere zusätzliche Aufwendungen bei seiner Vertretung, die gerade aufgrund dieses Vertreterwechsels erforderlich geworden wären, nie konkret aufgezeigt hat. Unter diesem Gesichtspunkt geht auch der vom Kläger in der Berufung erfolgte Hinweis auf § 2 Abs 2 RATG und die darauf bezugnehmende Entscheidung 7 Ob 200/15k ins Leere.
Der – aus dem Vorbringen des Klägers allenfalls ableitbare – Umstand, dass (im Innenverhältnis der Beteiligen) der für den Kläger im Schadenersatzprozess tätig gewesene Rechtsanwalt möglicherweise auch (einen Teil jener) Kosten vereinnahmt haben könnte, die nach der Regel des Art 6.6.1. ARB 2000 (auch) den vorprozessualen Aufwand abdecken sollen, hat auf die Leistungspflicht des Versicherers keine Auswirkungen. Entfallen also die vom Rechtsschutzversicherer zu leisten angemessenen Kosten des für den Versicherungsnehmer tätig gewesenen Rechtsanwalts auf Leistungen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums von einem Vertreter und innerhalb eines späteren Zeitraums von einem anderen Vertreter erbracht wurden, dann ändert dies – vorbehaltlich der hier nicht zu klärenden und daher offen bleibenden Frage von Zusatzaufwendungen allein aufgrund des Vertreterwechsels – nichts an der Höhe der vom Versicherer zu deckenden Kosten.
Der Kläger meint dazu: „Wollte man die Bestimmung des Art 6.6.1. ARB 2000 so verstehen, dass diese nicht nur im Verhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Prozessanwalt Anwendung findet, so würde diese Bestimmung sehr wohl gegen § 864a ABGB verstoßen.“ Dem ist zu entgegnen, dass Art 6.6.1. ARB 2000 wie die gesamten Regelungen des Rechtsschutzvertrags nie „zwischen dem Versicherungsnehmer und seinem Prozessanwalt Anwendung“ finden, sondern ausschließlich das Rechtsverhältnis zwischen dem Versicherungsnehmer (Kläger) und dem Versicherer (Beklagte) regeln. Insoweit zeigt der Kläger Zweifel an den Gültigkeitsvoraussetzungen nach § 864a ABGB auch nicht ansatzweise auf. Insbesondere ist auch nicht nachvollziehbar, warum eine Regelung, die im Ergebnis dahin wirkt, dass Vertreterwechsel – abgesehen von hier nicht zu beurteilenden, allein daraus resultierenden notwendigen Mehrkosten – zu keinen zusätzlichen Zahlungspflichten des Versicherers führen sollen, ungewöhnlich sein sollte.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen ist die Rechtssache aber dennoch nicht entscheidungsreif:
Die Vorinstanzen gehen (erkennbar) davon aus, dass dem Kläger keine weiteren Kosten zu ersetzen seien, weil nach Art 6.6.1. ARB 2000 „in gerichtlichen (...) Verfahren (...) Nebenleistungen des Rechtsanwaltes maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt (werden)“. Diese Regelung kann allerdings aus der Sicht eines vernünftigen Versicherungsnehmers nicht dahin ausgelegt werden, dass damit auch alle vorprozessualen Leistungen abgedeckt sind, die – als Ergebnis erweislich erfolgreicher außergerichtlicher Rechtsverfolgung – gerade nicht mehr in einem gerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden müssen. Das gegenteilige Verständnis würde – beispielhaft dargestellt – zu folgendem Ergebnis führen: Ein Geschädigter behauptet Ansprüche von 10.000, von denen er vorprozessual 9.000 durchsetzt. Den letzten strittig gebliebenen Anspruch von 1.000 muss er einklagen und bekommt auch insoweit Recht. Nach der Ansicht der Vorinstanzen und offenbar auch der Beklagten wäre dann der gesamte Aufwand der erfolgreichen außergerichtlichen Rechtsverfolgung von Ansprüchen in der Höhe von 9.000, im Einheitssatz für die gerichtliche Verfolgung von 1.000 abgedeckt. Ein solches Auslegungsergebnis ist für einen verständigen Versicherungsnehmer nicht nachvollziehbar und auch weder durch den Wortlaut der Regelung noch nach deren legitimen Zweck geboten. Vielmehr ist Art 6.6.1. ARB 2000, wonach „in gerichtlichen (...) Verfahren (...) Nebenleistungen des Rechtsanwaltes maximal in Höhe des nach dem jeweiligen Tarif zulässigen Einheitssatzes gezahlt (werden)“, dahin auszulegen, dass sich diese Einschränkung nur auf die (auch vorprozessualen) Kosten der Rechtsverfolgung des (dann) gerichtlich geltend gemachten Anspruchs bezieht, nicht aber (auch) auf außergerichtliche Kosten der Rechtsverfolgung von Ansprüchen, die erfolgreich ohne Prozess durchgesetzt wurden. Letztgenannte außergerichtlichen Kosten sind gesondert im Lichte ihrer Notwendigkeit, Zweckmäßigkeit und Angemessenheit zu prüfen.
Aus dem zuvor gewonnenen Auslegungsergebnis folgt für den vorliegenden Fall:
Jene (vorprozessualen) Nebenleistungen, die der Vertreter des Klägers zur Durchsetzung des mit Klage geltend gemachten Anspruchs von 6.833,60 EUR sA (gegebenenfalls) erbracht hat, sind durch den Einheitssatz gedeckt, sodass die Beklagte insoweit keine weiteren Leistungen abzugelten hat.
Für jene außergerichtlichen Leistungen des Vertreters des Klägers, die zur Verfolgung jener Ansprüche erbracht wurden, die der Haftpflichtversicherer des Schädigers außergerichtlich erfüllt hat, wird das Erstgericht nach Erörterung mit den Parteien jene Feststellungen zu treffen haben, die notwendig sind, um die Art der jeweils erbrachte Einzelleistung (Leistungsart, Dauer), die dafür jeweils maßgebliche Bemessungsgrundlage (außergerichtlich erledigter Anspruch), deren Zweckmäßigkeit und die dafür (gegebenenfalls) in Frage kommende Tarifpost klären zu können. Zu diesem Zweck war dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.