OGH: Zu den haftungsrechtlichen Wirkungen einer baurechtlichen Fertigstellungsanzeige
Die Mängelfreiheit des Bauwerks nach Gewährleistungsrecht oder damit im Zusammenhang stehendem Schadenersatzrecht hat für die Fertigstellungsanzeige keine Bedeutung; allgemein beziehen sich die öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften grundsätzlich nur auf das Verhältnis und die Verantwortung des Bauherrn gegenüber der Baubehörde und die Wahrung des öffentlichen Interesses
§§ 922 ff ABGB, §§ 1295 ff ABGB, § 30 NÖ BauO
GZ 4 Ob 94/20g, 20.10.2020
OGH: Eine aus baurechtlicher Sicht vollständige Fertigstellungsanzeige hat zur Folge, dass das Bauwerk nach Maßgabe der Bauvorschriften zulässigerweise benützt werden darf; ein Benützungsbewilligungsbescheid ist nach der NÖ BauO nicht vorgesehen. Hingegen hat die Mängelfreiheit des Bauwerks nach Gewährleistungsrecht oder damit im Zusammenhang stehendem Schadenersatzrecht für die Fertigstellungsanzeige keine Bedeutung. Allgemein beziehen sich die öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften grundsätzlich nur auf das Verhältnis und die Verantwortung des Bauherrn gegenüber der Baubehörde und die Wahrung des öffentlichen Interesses. Eine zivilrechtliche Haftung kommt allenfalls dann in Betracht, wenn eine konkrete öffentlich-rechtliche Norm als Schutzgesetz nach § 1311 ABGB qualifiziert wird. Derartiges steht hier allerdings nicht in Frage.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass auch für ein mit Sachmängeln behaftetes Bauwerk die Fertigstellung nach § 30 Abs 1 NÖ BauO angezeigt werden kann, ohne dass dies iSd Abs 4 leg cit zu einer unvollständigen Fertigstellungsanzeige führt, nicht zu beanstanden.
Da hier eine Fertigstellungsanzeige erfolgt ist, die Baubehörde dies zur Kenntnis genommen und die Vollständigkeit der Unterlagen bestätigt hat und nach der NÖ BauO kein Benützungsbewilligungsbescheid vorgesehen ist, ist im Anlassfall kein behördliches Verfahren mehr offen. Das Bauverfahren selbst war bereits durch die Erteilung der Baubewilligung abgeschlossen.
Damit ist auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass weder ein baurechtliches Verfahren noch ein anderes Verfahren anhängig ist, für das die Beklagte Gewähr zu leisten hätte, zutreffend. Anders wäre die Sachlage etwa dann, wenn die Baubehörde ein Verfahren zur Erlassung eines Sanierungs- oder Beseitigungsbescheids oder eines Untersagungsbescheids betreffend die Benützung des Bauwerks führen oder Auflagen erteilen würde.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Vorliegen von Sachmängeln an einem Bauwerk und deren Geltendmachung für sich allein die Fertigstellungsanzeige nach § 30 NÖ BauO nicht hindern und dass nach Erstattung einer formell vollständigen Fertigstellungsanzeige im Regelfall kein baubehördliches Verfahren mehr anhängig ist.