28.12.2020 Fremdenrecht

VwGH: Unzulässigkeit der Abschiebung iZm Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Afghanistan?

Selbst wenn sich für den Revisionswerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, ist damit für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre; das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative


Schlagworte: Status des subsidiär Schutzberechtigten, Abschiebung, Corona, wirtschaftliche Auswirkungen, innerstaatliche Fluchtalternative
Gesetze:

 

§ 8 AsylG 2005, § 11 AsylG 2005, Art 3 EMRK, Art 2 EMRK

 

GZ Ra 2020/20/0373, 09.11.2020

 

VwGH: Nach der stRsp des VwGH ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art 3 EMRK - nur eine solche wird vom Revisionswerber der Sache nach ins Treffen geführt - eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

 

Weiters hat der VwGH in seiner Rsp festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art 2 oder Art 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen.

 

Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Jud des VwGH für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen.

 

Die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Fluchtalternative stellt letztlich eine von der Asylbehörde bzw dem VwG zu treffende Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss.

 

Das BVwG traf fallbezogen unter Bezugnahme auf Länderberichte, die EASO-Guidelines zu Afghanistan 2018 und 2019 wie auch die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 hinreichend aktuelle Feststellungen zur Situation in namentlich genannten afghanischen Städten (Sicherheits- und Versorgungslage) sowie zu deren sicheren Erreichbarkeit und setzte sich mit den individuellen Umständen des Revisionswerbers auseinander. In diesem Zusammenhang verwies das BVwG darauf, dass es sich beim Revisionswerber um einen gesunden, volljährigen, alleinstehenden und arbeitsfähigen Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der über Schulbildung verfüge und dem die Unterstützung durch Hilfsorganisationen freistünde.

 

Entgegen den Ausführungen in der Revision setzte sich das BVwG auch mit den Auswirkungen und Folgen der Covid-19-Pandemie in Afghanistan im Allgemeinen und in den für die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Frage kommenden Städte im Besonderen unter Heranziehung diverser Länderberichte (vorwiegend datiert mit Mai 2020) auseinander und traf dazu Feststellungen im Hinblick auf die medizinische Versorgung, die (Versorgungs-)Lage in Provinzen und Städten und die Situation der Rückkehrer. Ausgehend davon bejahte das VwG die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative in den besagten Städten.

 

In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass in der Rsp bereits klargestellt wurde, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative.

 

Vor diesem Hintergrund werden mit dem vorliegenden Revisionsvorbringen, das sich in einem Verweis auf wirtschaftliche Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus erschöpft, ohne aufzuzeigen, von welchen konkreten Auswirkungen der Revisionswerber (im Zeitpunkt der Erlassung des Erkenntnisses) betroffen gewesen wäre, keine exzeptionellen Umstände dargelegt, nach denen im Fall der Ansiedelung in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Betracht kommenden Orten die reale Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art 2 oder Art 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen oder die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre.