08.12.2020 Verfahrensrecht

OGH: Änderung der Abgabestelle – zur Frage, ob für die Anwendung des § 8 ZustG jede rechtswirksame Zustellung ausreicht oder ob der Umstand, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück nach Hinterlegung nicht behoben wurde, der Anwendung dieser Bestimmung entgegensteht

Der Ausdruck „von dem sie Kenntnis hat“ in § 8 Abs 1 ZustG ist dahin zu reduzieren, dass die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle unabhängig von der Zustellart, die zur rechtswirksamen Zustellung führte (Hinterlegung, Zurücklassung, elektronische Zustellung etc), besteht


Schlagworte: Zustellung, verfahrenseinleitendes Schriftstück, Hinterlegung, Änderung der Abgabestelle
Gesetze:

 

§ 8 ZustG

 

GZ 1 Ob 167/20w, 23.09.2020

 

OGH: Bis zur Aufhebung durch das Zustellrechtsanpassungsgesetz, BGBl 1982/201, war die Mitteilung einer Wohnungsänderung während des Prozesses in § 111 ZPO aF geregelt. Danach hatte eine Partei, die während des Prozesses ihre Wohnung ändert, dies dem Gericht mitzuteilen. Dazu vertrat Fasching die Ansicht, dass der Beklagte von der ordnungsgemäß erfolgten Zustellung der Klage an (wenn auch im Wege der Hinterlegung oder Zurücklassung) bis zur Rechtskraft der Entscheidung zur Bekanntgabe der Wohnungsänderung verpflichtet sei.

 

In den Materialien zu § 8 ZustG wird auf § 111 ZPO aF Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass die Parteien dazu verhalten sind, Änderungen ihrer Abgabestelle der Behörde mitzuteilen, wenn die Partei überhaupt Kenntnis von einem sie betreffenden Verfahren hat. Aus den Gesetzesmaterialien ist nicht klar ersichtlich, ob der Gesetzgeber mit dem Ausdruck in § 8 Abs 1 ZustG „während eines Verfahrens, von dem sie Kenntnis hat,“ eine Änderung gegenüber der bisherigen Rechtslage vornehmen oder diese, wenn auch mit einer anderen Ausdrucksweise, beibehalten wollte.

 

Verwiesen wird aber in den Materialien auf die Bedeutung, die der Zustellung im Verfahren und hinsichtlich der Rechtswirksamkeit eines behördlichen Akts zukommt, aber auch auf den Umstand, dass von der Zustellung Fristen für die Parteien eines Verfahrens abhängen, die es erforderlich machen, die Parteien zur Mitteilung der Änderung ihrer Abgabestelle der Behörde gegenüber zu verhalten. Die Verpflichtung nach § 8 ZustG trifft nur jenen, der bereits von einem bestimmten Verfahren Kenntnis hat, sei es, dass es über seinen Antrag eingeleitet wurde oder ihm der verfahrenseinleitende Schriftsatz rechtswirksam zugestellt wurde. Mit der rechtswirksamen Zustellung hat ein Beklagter in aller Regel jedenfalls die Möglichkeit, sich Kenntnis vom Verfahren zu verschaffen. Für die Anwendung des § 8 ZustG darf es keinen Unterschied machen, ob der Beklagte die Klage abholt und sie aufmerksam liest, er sie abholt und ungelesen wegwirft, er sie nach Hause bringt, nicht ansieht und schließlich vergisst oder ob er die Klage nicht abholt. In all diesen Fällen ist von einer wirksamen Zustellung und auch von der Kenntnis vom Verfahren auszugehen, hat doch der Beklagte jederzeit die Möglichkeit gehabt, vom Inhalt Kenntnis zu erlangen. Wird demgegenüber nur auf die tatsächliche Kenntnis einer Partei vom Inhalt eines zugestellten Dokuments abgestellt, hätte es die Partei in der Hand, durch Nichtbeheben von behördlichen Schriftstücken die Rechtswirkungen des § 8 ZustG zu unterlaufen. Zudem hätte auch das unterlassene Lesen einer Klage zur Folge, dass ein Beklagter trotz rechtswirksamer Zustellung keine Kenntnis vom Verfahren hätte, was dem Gesetzeszweck sicherlich nicht entspricht. Der Ausdruck „von dem sie Kenntnis hat“ in § 8 Abs 1 ZustG ist daher dahin zu reduzieren, dass die Verpflichtung zur Bekanntgabe der Änderung der Abgabestelle unabhängig von der Zustellart, die zur rechtswirksamen Zustellung führte (Hinterlegung, Zurücklassung, elektronische Zustellung etc), besteht. Dadurch besteht jedenfalls die Möglichkeit zur Kenntnisnahme vom Inhalt, die nach dieser Bestimmung ausreicht. Zutreffend ist daher das Rekursgericht davon ausgegangen, dass die rechtswirksame Zustellung der Klage an die Beklagten für die Anwendung des § 8 ZustG ausreicht.

 

Ob die Zustellung durch Hinterlegung entsprechend § 17 ZustG ordnungsgemäß erfolgte, die Beklagten bestreiten die Hinterlassung einer Verständigung über die Hinterlegung, ist vom Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren zu klären.