OGH: § 3 HeimAufG – Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel
Die in Frage stehenden Medikamente wurden auch mit dem Zweck verabreicht, den Bewegungsdrang der Bewohnerin zu unterbinden; aus dem Gesamtzusammenhang der erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich, dass die bei der Bewohnerin im Rahmen eines deliranten Zustandsbildes bei schwerer Depression bestehenden Erregungs- und Unruhezustände einen Leidensdruck aufbauten; die medikamentöse Behandlung bezweckte die Lösung der Anspannung, die Verbesserung der Zugänglichkeit sowie die Linderung des Leidensdrucks; der Fokus lag gerade nicht auf der Einschränkung der Bewegung, sondern der Behandlung einer psychomotorischen Unruhe, die Ausfluss der Grunderkrankung ist; aus diesen Feststellungen folgt, dass die mit den beiden Medikamenten verbundene Sedierung nicht Ziel und Zweck der Medikation der Bewohnerin war, sondern lediglich eine Nebenwirkung
§ 3 HeimAufG
GZ 7 Ob 122/20x, 16.09.2020
OGH: Nach § 3 Abs 1 HeimAufG liegt eine Freiheitsbeschränkung iS dieses Bundesgesetzes dann vor, wenn eine Ortsveränderung einer betreuten oder gepflegten Person (Bewohner) gegen oder ohne ihren Willen mit physischen Mitteln, insbesondere durch mechanische, elektronische oder medikamentöse Maßnahmen oder durch deren Androhung unterbunden wird.
Eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel liegt dann vor, wenn die Behandlung unmittelbar, also primär, die Unterbindung des Bewegungsdrangs bezweckt, nicht jedoch bei unvermeidlichen bewegungsdämpfenden Nebenwirkungen, die sich bei der Verfolgung anderer therapeutischer Ziele, namentlich bei der Behandlung der Grunderkrankung, ergeben können. Die Beurteilung, ob unter diesem Gesichtspunkt eine Freiheitsbeschränkung vorliegt, erfordert Feststellungen darüber, 1. welchen therapeutischen Zweck die Anwendung jedes einzelnen der zu überprüfenden Medikamente verfolgt, 2. ob die Medikamente (insbesondere in der dem Bewohner verabreichten Dosierung und Kombination) dieser Zweckbestimmung entsprechend eingesetzt wurden und werden und 3. welche konkrete Wirkung für den Bewohner mit dem Einsatz der Medikamente verbunden war und ist.
Die Frage, ob eine Freiheitsbeschränkung durch medikamentöse Mittel auch dann vorliegt, wenn über den therapeutischen Zweck hinaus auch eine Bewegungsdämpfung intendiert wird, stellt sich hier nicht.
Tatsächlich steht nämlich nicht fest, dass die in Frage stehenden Medikamente auch mit dem Zweck verabreicht wurden, den Bewegungsdrang der Bewohnerin zu unterbinden. Aus dem Gesamtzusammenhang der erstgerichtlichen Feststellungen ergibt sich vielmehr, dass die bei der Bewohnerin im Rahmen eines deliranten Zustandsbildes bei schwerer Depression bestehenden Erregungs- und Unruhezustände einen Leidensdruck aufbauten. Die medikamentöse Behandlung bezweckte die Lösung der Anspannung, die Verbesserung der Zugänglichkeit sowie die Linderung des Leidensdrucks; der Fokus lag gerade nicht auf der Einschränkung der Bewegung, sondern der Behandlung einer psychomotorischen Unruhe, die Ausfluss der Grunderkrankung ist. Aus diesen Feststellungen folgt, dass die mit den beiden Medikamenten verbundene Sedierung nicht Ziel und Zweck der Medikation der Bewohnerin war, sondern lediglich eine Nebenwirkung.
Damit lag iSd bestehenden oberstgerichtlichen Jud keine Freiheitsbeschränkung nach § 3 Abs 1 HeimAufG vor, sodass dem Revisionsrekurs des Einrichtungsleiters Folge zu geben war.