17.11.2020 Zivilrecht

OGH: § 231 ABGB – zur Frage der Anrechnung einer kostenlosen Wohnmöglichkeit (vom Staat Katar zur Verfügung gestellte „Dienstwohnung“)

Die Wohn- bzw Miet-(zins-)beihilfe oder ein Wohnkostenzuschuss eines im Ausland eingesetzten Beamten ist Teil der Unterhaltsbemessungsgrundlage is; die Jud bezieht sich zwar auf staatliche Geldleistungen; nichts anderes kann aber für Sachleistungen gelten, weil diese ebenso wie ein Geldeinkommen in die Bemessungsgrundlage fallen; die dem Vater vom Staat Katar zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit, auf die der Vater einen Rechtsanspruch hat, stellt eine solche staatliche Sachleistung dar; hat er keinen Einfluss darauf, welche Wohnung ihm zur Verfügung gestellt wird oder überhaupt zur Verfügung steht, ist es angebracht, diesen Umständen bei der Bemessung des Kindesunterhalts dadurch Rechnung zu tragen, dass als Wert der kostenlos zur Verfügung gestellten Wohnungsmöglichkeit der fiktive Mietzins herangezogen wird, den er auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine seinem Lebensstandard entsprechende angemessene kleinere Wohnung zahlen müsste


Schlagworte: Familienrecht, Kindesunterhalt, Unterhaltsbemessung, vom Staat Katar zur Verfügung gestellte Dienstwohnung, Mischunterhalt
Gesetze:

 

§ 231 ABGB

 

GZ 3 Ob 109/20f, 18.08.2020

 

OGH: Maßgeblich für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen ist in erster Linie die sich aus seinem Gesamteinkommen nach Abzug von Steuern und öffentlichen Abgaben vom Einkommen ergebende tatsächliche wirtschaftliche Lage, somit die Summe der dem Unterhaltsschuldner tatsächlich zufließenden verfügbaren Mittel.

 

Eine Dienstwohnung ist als geldwerter Naturalbezug (Sachbezug mit Einkommensersatzfunktion) bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage zu berücksichtigen.

 

Die Kinder haben ihr Vorbringen zur Unterhaltsbemessungsgrundlage ua auch darauf gestützt, dass der Staat Katar auch der Eigentümer der K***** sei. Es sei irrelevant, ob die Wohnung dem Vater vom Dienstgeber selbst oder vom Staat als dessen Eigentümer zur Verfügung gestellt werde. Das Rekursgericht hat den Charakter der Wohnung als Dienstwohnung wegen der unterschiedlichen Rechtspersönlichkeit von Dienstgeber und Staat verneint.

 

Es kann dahinstehen, ob die Bereitstellung der kostenlosen Wohnungsmöglichkeit durch den Staat Katar schon deshalb mit dem Naturalbezug einer (vom Dienstgeber bereitgestellten) Dienstwohnung gleichzustellen ist, was die Kinder darauf stützen, dass der Staat Katar auch der Eigentümer der K***** sei.

 

Auf das Vorliegen einer Dienstwohnung kommt es hier nämlich nicht an. Entgegen der Rechtsmeinung des Erstgerichts lässt sich aus der E 6 Ob 5/04k nicht ableiten, dass nur Sachleistungen des Dienstgebers in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einfließen. Diese Entscheidung bejahte, dass ein Sachbezug aus einem Dienstverhältnis zum Einkommen des Unterhaltsschuldners gehöre, ohne sonstige Zuwendungen außerhalb des Dienstverhältnisses (aber bei einem Rechtsanspruch) von der Einrechnung kategorisch auszuschließen. Nach der Rsp werden Sachleistungen auch ohne Bestehen eines Dienstverhältnisses berücksichtigt. Das gilt etwa für selbstständig erwerbstätige Unterhaltspflichtige. Darüber hinaus kann (unter bestimmten Voraussetzungen) bei der Festlegung der Bemessungsgrundlage auch die Zurverfügungstellung von (Sach-)Leistungen Dritter berücksichtigt werden.

 

Nach der Rsp fallen auch nicht unmittelbar aus einer Erwerbstätigkeit stammende öffentlich-rechtliche Leistungen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage, soweit sie nicht für einen bestimmten Mehrbedarf (Sonderbedarf) des Unterhaltspflichtigen gewidmet sind.

 

Letzteres gilt nicht für die Zurverfügungstellung einer Wohnung, zumal Wohnkosten (zB Miete, Betriebskosten) Ausgaben des täglichen Lebens und damit Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten sind, die von der Unterhaltsbemessungsgrundlage nicht abzuziehen sind. Wegen dieses allgemeinen Wohnbedarfs deckt eine entsprechende öffentlich-rechtliche Zuwendung keinen Sonderbedarf ab.

 

Dazu korrespondiert die Rsp, wonach die Wohn- bzw Miet-(zins-)beihilfe oder ein Wohnkostenzuschuss eines im Ausland eingesetzten Beamten Teil der Unterhaltsbemessungsgrundlage ist. Der Senat schließt sich dieser Ansicht an.

 

Die referierte Jud bezieht sich zwar auf staatliche Geldleistungen. Nichts anderes kann aber für Sachleistungen gelten, weil diese ebenso wie ein Geldeinkommen in die Bemessungsgrundlage fallen. Die dem Vater vom Staat Katar zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit, auf die der Vater einen Rechtsanspruch hat, stellt eine solche staatliche Sachleistung dar. Es bedarf daher auch keiner näheren Auseinandersetzung mit den vom Rekursgericht aufgeworfenen Rechtsfragen und den entsprechenden Stimmen in der Lit betreffend die freiwillige Zuwendung einer Wohnung durch Dritte oder die Frage der Wohnkostenersparnis bei einem ausbezahlten Eigenheim.

 

Das Argument des Rekursgerichts, dass sich der Vater mit dem ihm beigestellten Einfamilienhaus keine Wohnkosten erspare, weil eine offensichtlich recht große Gruppe von Personen in Katar keine Wohnkosten zahle, verfängt nicht. Zum einen widerspricht das dem vorherigen Hinweis in der Rekursentscheidung, dass der Staat Katar gerade nicht jedermann eine kostenfreie Wohnmöglichkeit zur Verfügung stelle. Zum anderen betreffen die Kosten einer Wohnung die Grundbedürfnisse eines jeden Menschen, die der Vater in Katar nur deshalb nicht selbst decken muss, weil ihm diese Kosten vom Staat (also von dritter Seite) abgenommen werden. An der mit dieser Entlastung verbundenen erhöhten Leistungsfähigkeit des Vaters sollen nach allgemeinen Grundsätzen aber auch seine unterhaltsberechtigten Kinder partizipieren können.

 

Daraus ist für den hier zu beurteilenden Fall abzuleiten, dass sich der Vater die kostenfrei zur Verfügung gestellte Wohnmöglichkeit grundsätzlich anrechnen lassen muss. Dies geschieht im Allgemeinen durch die Anrechnung eines fiktiven Mietzinses, den der Unterhaltsschuldner für die zur Verfügung gestellte Wohnung zu zahlen hat.

 

Hat er keinen Einfluss darauf, welche Wohnung ihm zur Verfügung gestellt wird oder überhaupt zur Verfügung steht, ist es angebracht, diesen Umständen bei der Bemessung des Kindesunterhalts dadurch Rechnung zu tragen, dass als Wert der kostenlos zur Verfügung gestellten Wohnungsmöglichkeit der fiktive Mietzins herangezogen wird, den er auf dem örtlichen Wohnungsmarkt für eine seinem Lebensstandard entsprechende angemessene kleinere Wohnung zahlen müsste. Der Umstand, dass mit der Aufnahme weiterer Personen in den Haushalt des Vaters die Zuweisung einer größeren Dienstwohnung verbunden ist, kann den Kindern aber nicht entgegengehalten werden. Sofern der Vater für diese Personen sorgepflichtig ist, kommt es ohnedies zu einer Reduktion des Prozentunterhalts der Kinder.

 

Es entspricht bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs im Ausland lebender Kinder eines im Inland wohnenden Elternteils der gefestigten Rsp, dass die Unterhaltsbeiträge einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft in ihrem Heimatland stehen, andererseits die Kinder am Lebensstandard des in Österreich lebenden Verpflichteten teilnehmen sollen. Es ist in diesen Fällen ein „Mischunterhalt“ zu bilden, der sich nach den Bedürfnissen der Unterhaltsberechtigten und dem verbesserten Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen richtet. Nichts anderes kann umgekehrt gelten, wenn die Kinder in Österreich leben und es das Wohnsitzland des Unterhaltspflichtigen ist, in dem ein höheres Einkommens- und Preisniveau herrscht. Ebenso muss aber auch auf den Umstand Rücksicht genommen werden, dass im Aufenthaltsstaat des Unterhaltspflichtigen ein niedrigeres Einkommens- und Preisniveau besteht; auch hier wird die Bildung eines den beiderseitigen Verhältnissen adäquaten „Mischunterhalts“ dann erforderlich sein, wenn die nach der österreichischen Rsp angewendete „Prozentmethode“ aufgrund der besonderen Verhältnisse im Einzelfall unbillig wäre.

 

Auch wenn sich hier wegen eines (allfälligen) unterschiedlichen Einkommens- und Preisniveaus zwischen Österreich und Katar die Frage des „Mischunterhalts“ stellen sollte, berührt dies nicht die Berücksichtigung der Wohnkostenersparnis dem Grunde nach. Zutreffend machen die Kinder geltend, dass in einem ersten Schritt die Unterhaltsbemessungsgrundlage entsprechend der Leistungsfähigkeit nach dem im Ausland erzielten Einkommen des Vaters festzustellen ist, während erst in einem zweiten Schritt die Problematik des Mischunterhalts allenfalls zu prüfen sein wird, der bei höheren Lebenserhaltungskosten zu einem Abschlag von der Unterhaltsbemessungsgrundlage führen kann.

 

Der Berücksichtigung der Wohnmöglichkeit dem Grunde nach kann auch nicht ein Verbot des „Rosinenpickens“ entgegengehalten werden. Ein höheres Preisniveau oder die mit dem Auslandsaufenthalt verbundenen Mehrkosten könnten wohl dazu führen, dass die wegen der Wohnkostenersparnis erhöhte Unterhaltsbemessungsgrundlage letztendlich reduziert wird. Allein der Umstand, dass mit einer Tätigkeit im Ausland höhere Aufwendungen oder Entbehrungen verbunden sein könnten, führt aber nicht dazu, den Bezug von Sachleistungen deshalb pauschal auszublenden, zumal das Rekursgericht auch von „vielerlei Vorteilen“ eines Auslandsaufenthalts spricht.

 

Aus den bisherigen Feststellungen ergibt sich nicht, ob das Einkommens- und Preisniveau in Katar höher oder niedriger als in Österreich ist. Dazu fehlt auch jegliches Vorbringen. Auch im Unterhaltsverfahren gilt ungeachtet der dort das Verfahren prägenden Amtswegigkeit, dass jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen hat. Somit trifft die unterhaltsberechtigten Kinder die Behauptungs- und Beweislast zur erhöhten Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (ua etwa wegen der mit dem Aufenthalt in Katar verbundenen Vorteile). Dieser muss wiederum seine geminderte Leistungsfähigkeit (ua etwa wegen höherer Aufwendungen in Katar) behaupten und beweisen.