VwGH: Beurteilung einer Erledigung als Bescheid
Das Erfordernis, dass ein Bescheid einen Spruch enthalten muss, ist nicht streng formal auszulegen; vielmehr ist der normative Abspruch auch aus der Formulierung erschließbar, doch muss sich der Wille der Behörde, in einer Verwaltungssache hoheitlich abzusprechen, eindeutig aus der Erledigung ergeben; aus der Erledigung muss der objektiv erkennbare Wille der Behörde hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen; auch formlose Schreiben können Bescheide sein
§ 56 AVG
GZ Ra 2019/12/0033, 22.09.2020
VwGH: Die Frage, ob eine nicht als Bescheid bezeichnete Erledigung auf Grund ihres konkreten Erscheinungsbildes, insbesondere ihres konkreten Aufbaues und ihrer konkreten sprachlichen Fassung als Bescheid zu beurteilen ist, stellt eine einzelfallbezogene Auslegungsfrage dar.
Die Auffassung, der Erledigung vom 7. Juni 2017 komme Bescheidqualität zu, stützte das VwG auf Literaturstellen zur Rsp des VwGH, wonach das Fehlen einer Rechtsmittelbelehrung für den Bescheidcharakter einer behördlichen Erledigung ebenso wenig entscheidend sei wie eine mangelnde Gliederung dieser Erledigung nach Spruch und Begründung.
Das VwG wich dabei jedoch von den Leitlinien der Rsp des VwGH ab, weil es unbeachtet ließ, dass nach dieser Rsp die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid ... für das Vorliegen eines Bescheides „nur dann“ nicht wesentlich ist, „wenn der Inhalt einer behördlichen Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass die Behörde die Rechtsform des Bescheides gewählt hat“, wenn sich also „aus der Erledigung eindeutig ergibt, dass die Behörde einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt und normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat“.
Das Erfordernis, dass ein Bescheid einen Spruch enthalten muss, ist nicht streng formal auszulegen; vielmehr ist der normative Abspruch auch aus der Formulierung erschließbar, doch muss sich der Wille der Behörde, in einer Verwaltungssache hoheitlich abzusprechen, eindeutig aus der Erledigung ergeben. Aus der Erledigung muss der objektiv erkennbare Wille der Behörde hervorgehen, gegenüber einer individuell bestimmten Person die normative Regelung einer konkreten Verwaltungsangelegenheit zu treffen. Auch formlose Schreiben können Bescheide sein.
Zur Frage des Bescheidcharakters einer nicht als Bescheid bezeichneten Erledigung hat ein verstärkter Senat des VwGH mit Beschluss vom 15. Dezember 1977, Zlen. 934 und 1223/73, VwSlg 9458/A, ausgeführt:
„Enthält eine an eine bestimmte Person gerichtete Erledigung die Bezeichnung der Behörde, den Spruch und die (Anmerkung: sofern dies auf Grund der späteren Änderung der Rechtslage noch vorgesehen ist) Unterschrift oder auch die Beglaubigung, dann ist das Fehlen der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid für den Bescheidcharakter der Erledigung unerheblich. Auf die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid kann aber nur dann verzichtet werden, wenn sich aus dem Spruch eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht nur einen individuellen Akt der Hoheitsverwaltung gesetzt hat, sondern auch, dass sie normativ, also entweder rechtsgestaltend oder rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechtes entschieden hat. Der normative Inhalt muss sich aus der Formulierung der behördlichen Erledigung, also in diesem Sinn auch aus der Form der Erledigung, ergeben. Die Wiedergabe einer Rechtsansicht, von Tatsachen, der Hinweis auf Vorgänge des Verfahrens, Rechtsbelehrungen udgl können nicht als verbindliche Erledigung, also nicht als Spruch iSd § 58 Abs 1 AVG, gewertet werden.
Der VwGH hat schon in seiner bisherigen Jud den rechtsverbindlichen Inhalt einer behördlichen Erledigung als für die Bescheidqualität der Erledigung wesentlich gewertet und unter dieser Voraussetzung die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nicht als wesentlich angesehen. Ergibt sich aus dem Wortlaut der behördlichen Erledigung, insbesondere aus der Verwendung der Verfahrensgesetze und der Verwaltungsvorschriften für jedermann eindeutig, dass ein rechtsverbindlicher Abspruch vorliegt, dann ist ungeachtet des Fehlens der ausdrücklichen Bezeichnung als Bescheid ein solcher als gegeben anzunehmen. Der mit der Bestimmung des § 58 Abs 1 AVG angestrebte Zweck, nämlich durch die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid für den Betroffenen Klarheit und damit Rechtssicherheit zu schaffen, ist erreicht, wenn die Bestimmung über den Spruch des Bescheides in eindeutiger Form eingehalten und verwirklicht ist.
Die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid ist jedoch nicht in jedem Fall entbehrlich. Verwaltungsbehörden (im organisatorischen Sinn) können auch rechtsgeschäftliche Erklärungen abgeben, wobei aus dem Inhalt der Erklärung noch nicht eindeutig geschlossen werden kann, ob es sich um rechtsgeschäftliche Erklärungen oder um rechtsverbindliche Anordnungen im Bereich des öffentlichen Rechtes handelt. Ferner sind behördliche Erledigungen nicht nur in Bescheidform zu erlassen (vgl Verfahrensanordnungen, Dienstaufträge oder organisatorische Maßnahmen).
Insbesondere in jenem Fall, in dem der Inhalt einer Erledigung oder einer behördlichen Erledigung Zweifel über den Bescheidcharakter entstehen lässt, ist die ausdrückliche Bezeichnung für den Bescheidcharakter der Erledigung essentiell. Nur dann, wenn der Inhalt einer behördlichen Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass die Behörde die Rechtsform des Bescheides gewählt hat, ist die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nach der für sich allein gesehen unabdingbaren Norm des § 58 Abs 1 AVG für das Vorliegen eines Bescheides nicht wesentlich.“
An eine behördliche Erledigung, die nicht ausdrücklich als Bescheid bezeichnet ist, muss hinsichtlich der Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab angelegt werden.