10.11.2020 Arbeits- und Sozialrecht

OGH: Zu „laufenden Verfahren“ iZm der Abschaffung des Pflegeregresses

Mit der Rechtskraft des Beschlusses des Verlassenschaftsgerichts auf Überlassung an Zahlungs statt ist das Verlassenschaftsverfahren beendet und kein „laufendes Verfahren“ mehr


Schlagworte: Abschaffung des Pflegeregresses, Übergangsbestimmung Einstellung von Verfahren, Verlassenschaftsverfahren, Überlassung an Zahlungs statt, Nachlass, Überschuldung
Gesetze:

 

§ 330a ASVG, § 707a ASVG, § 154 AußStrG

 

GZ 2 Ob 150/19a, 29.06.2020

 

OGH: Das Verbot des Pflegeregresses nach § 330a ASVG erfasst auch vor dem 1. 1. 2018 verwirklichte Sachverhalte, die geänderte Rechtslage ist von Amts wegen auch noch im Rechtsmittelverfahren anzuwenden. Dies ist dahingehend zu präzisieren, dass mit den „verwirklichten Sachverhalten“ vor dem 1. 1. 2018 erbrachte Pflegeleistungen gemeint sind, aber für die Anwendbarkeit der zitierten Bestimmungen selbstverständlich Voraussetzung ist, dass am 1. 1. 2018 ein (gerichtliches oder verwaltungsbehördliches) Verfahren über den Kostenregress noch nicht rechtskräftig beendet war. „Laufende Verfahren“, die einzustellen sind, sind auch Exekutionsverfahren, mit denen ein rechtskräftiger und vollstreckbarer Pflegeregresstitel durchgesetzt werden soll. Sowohl dem Gesetzeswortlaut als auch den Mat ist eindeutig zu entnehmen, dass unter „laufenden Verfahren“ iSd § 707a Abs 2 ASVG gerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verfahren zu verstehen sind. Das gerichtliche Verfahren, in dem hier der Fonds Soziales Wien seine Regressansprüche aus der Pflege des Erblassers geltend machte und (in sehr geringem Umfang auch) hereinbrachte, war das Verfahren zur Überlassung an Zahlungs statt gem § 154 AußStrG im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens. Mit der Rechtskraft des entsprechenden Beschlusses des Verlassenschaftsgerichts (im Jahre 2015) war dieses Verfahren beendet und deswegen am 1. 1. 2018 kein „laufendes Verfahren“ mehr.

 

An dieser Beurteilung ändert auch weder, dass die bloße Anmeldung einer Forderung im Verlassenschaftsverfahren zu keinem Exekutionstitel und auch nicht zu einer rechtskraftfähigen Entscheidung über den Bestand der Forderung führt, noch dass nach Überlassung an Zahlungs statt nach § 154 AußStrG das Verlassenschaftsverfahren etwa nach Hervorkommen von weiterem Nachlassvermögen (§ 183 AußStrG) fortgesetzt werden könnte. Denn auch im zuletzt genannten Fall wäre das dem Fonds Soziales Wien rechtskräftig an Zahlungs statt überlassene Vermögen nicht mehr in das nachträgliche Verlassenschaftsverfahren einzubeziehen.

 

Es lag daher am 1. 1. 2018 oder danach somit kein „laufendes Verfahren“ iSd § 707a Abs 2 ASVG vor, sodass im vorliegenden Schenkungspflichtteilsprozess die Forderung des Fonds Soziales Wien zu einer Überschuldung des Nachlasses führt. Wäre vorliegend die Schenkung der Liegenschaft unterblieben und diese somit in der Verlassenschaft vorhanden gewesen, so wäre die damals berechtigte Forderung des Fonds Soziales Wien im Verlassenschaftsverfahren ebenso in voller Höhe als Passivum und damit als pflichtteilsmindernd zu berücksichtigen gewesen.