OGH: Verkehrssicherungspflichten des Veranstalters eines Radrennens
Nach den Feststellungen ist das „Kurvenschneiden“ bei Radrennen (zumindest der Bundesliga) üblich; die Vorstellung, dass sich Rennfahrer bei kurvigen Abfahrten (hier mit 55 km/h) auf vergleichsweise schmalen Straßen (hier zwischen 4,9 und 5,6 m) im Hauptfeld oder in größeren Gruppen an das Rechtsfahrgebot halten, ist bei realistischer Betrachtung völlig lebensfremd; ein solches Gebot wurde daher weder von den Rennkommissären noch von der Polizei eingemahnt; der Kläger konnte daher annehmen, dass der Veranstalter die Strecke (zumindest) im Unfallbereich so absichern würde, dass (zumindest) das Hauptfeld oder größere Gruppen nicht mit Gegenverkehr rechnen müssten; dass die Mannschaftsführer auf die „Geltung der StVO“ hingewiesen wurden, steht dem berechtigten Vertrauen des Klägers auf eine umfassende Absicherung nicht entgegen; denn dieser Hinweis war offenkundig als bloße Formalität zur Absicherung des Veranstalters zu verstehen; nähme man ihn ernst, hätten die Fahrer (ua) bei einer Änderung der Fahrtrichtung oder einem Wechsel des Fahrstreifens ein Handzeichen geben müssen (§ 11 Abs 3 StVO), sie hätten einen Sicherheitsabstand einhalten müssen (§ 18 Abs 1 StVO), und auch das Nebeneinanderfahren wäre unzulässig gewesen, da nach § 68 Abs 2 StVO nur Trainingsfahrten mit Rennrädern vom diesbezüglichen Verbot ausgenommen sind
§§ 1295 ff ABGB, § 1304 ABGB
GZ 2 Ob 5/20d, 06.08.2020
OGH: Den Veranstalter eines Radrennens trifft (jedenfalls) bei Zahlung eines Startgeldes eine vertragliche Verkehrssicherungspflicht. Er muss daher – wie jeder andere Verkehrssicherungspflichtige – alle notwendigen Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung der Teilnehmer nach Tunlichkeit abzuwenden. Dabei darf die Sorgfaltspflicht zwar nicht überspannt werden; die Grenzen des Zumutbaren sind zu beachten. Im Einzelfall kommt es jedoch immer auf die Wahrscheinlichkeit der Schädigung sowie darauf an, in welchem Maß die Verkehrsteilnehmer selbst Gefahren erkennen und ihnen begegnen können. Je größer die Gefahr, umso höhere Anforderungen an die Sorgfalt sind zumutbar und daher zu stellen.
Auf dieser Grundlage trifft die Beurteilung des Erstgerichts, dass der Viertbeklagte zu einer weitergehenden Absicherung der Rennstrecke verpflichtet gewesen wäre, zu:
Nach den Feststellungen ist das „Kurvenschneiden“ bei Radrennen (zumindest der Bundesliga) üblich. Die Vorstellung, dass sich Rennfahrer bei kurvigen Abfahrten (hier mit 55 km/h) auf vergleichsweise schmalen Straßen (hier zwischen 4,9 und 5,6 m) im Hauptfeld oder in größeren Gruppen an das Rechtsfahrgebot halten, ist bei realistischer Betrachtung völlig lebensfremd; ein solches Gebot wurde daher weder von den Rennkommissären noch von der Polizei eingemahnt. Der Kläger konnte daher annehmen, dass der Veranstalter die Strecke (zumindest) im Unfallbereich so absichern würde, dass (zumindest) das Hauptfeld oder größere Gruppen nicht mit Gegenverkehr rechnen müssten. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Sachverhalt von jenem, der der (zurückweisenden) Entscheidung 2 Ob 23/05d zugrunde lag: Dort war kein Radrennen der höchsten nationalen Klasse (Bundesliga) zu beurteilen, sondern ein „Radmarathon“; zudem war der Geschädigte dort nicht im Hauptfeld unterwegs gewesen, sondern in einer kleinen Gruppe mit höchsten fünf Fahrern.
Dass die Mannschaftsführer auf die „Geltung der StVO“ hingewiesen wurden, steht dem berechtigten Vertrauen des Klägers auf eine umfassende Absicherung nicht entgegen. Denn dieser Hinweis war offenkundig als bloße Formalität zur Absicherung des Veranstalters zu verstehen. Nähme man ihn ernst, hätten die Fahrer (ua) bei einer Änderung der Fahrtrichtung oder einem Wechsel des Fahrstreifens ein Handzeichen geben müssen (§ 11 Abs 3 StVO), sie hätten einen Sicherheitsabstand einhalten müssen (§ 18 Abs 1 StVO), und auch das Nebeneinanderfahren wäre unzulässig gewesen, da nach § 68 Abs 2 StVO nur Trainingsfahrten mit Rennrädern vom diesbezüglichen Verbot ausgenommen sind.
Auch dass die zuständige Behörde im Bewilligungsbescheid (§ 64 StVO) für den strittigen Bereich (nur) ein allgemeines Fahrverbot mit Ausnahmen für Anrainer, Linienbusse und Einsatzfahrzeuge, nicht aber die vom Viertbeklagten beantragte Einbahnregelung angeordnet hatte, ändert an dieser Beurteilung nichts. Denn einerseits hatte der Veranstalter nach dem Bescheid ganz allgemein „durch geeignete Maßnahmen“, etwa einen „Ordnerdienst“, sicherzustellen, dass die Gefährdung oder Verletzung von Personen vermieden würde. Andererseits zeigt die Anordnung des (wenngleich Anrainer nicht erfassenden) Fahrverbots, dass die Behörde gerade den Bereich der Unfallstelle als besonders gefährlich ansah. Diese Einschätzung war durch das Gefälle, die unübersichtliche, dem Erstbeklagten als „unfallträchtig“ bekannte Kurve und die (vergleichsweise) geringe Fahrbahnbreite wohl begründet.
Auf dieser Grundlage wäre der Viertbeklagte bei der gebotenen Ex-ante-Betrachtung zu einer weitergehenden Absicherung des Unfallbereichs verpflichtet gewesen. Dafür wären eine temporäre Absperrung der Zufahrtsstraße durch einen Ordnerdienst oder ein besser koordinierter Einsatz der (allenfalls verstärkten) Motorradstaffel in Betracht gekommen. Hingegen hätte eine (weitergehende) Information der Anrainer oder auch ein Warnschild nicht ausgereicht: Mangels Anordnung eines uneingeschränkten Fahrverbots oder einer Einbahnregelung durch die Behörde hätte mit solchen Maßnahmen nur zu besonderer Vorsicht bei der Benutzung der Straße aufgefordert werden können. Diese Vorsicht hat der Lenker des Unfallfahrzeugs aber ohnehin eingehalten, ohne dass dadurch der Unfall verhindert werden konnte. Dies war bei aufmerksamer Beurteilung der örtlichen Verhältnisse auch objektiv erkennbar, bildete doch jeder Gegenverkehr – auch bei langsamer Fahrt und Einhalten einer ganz rechts gelegenen Fahrlinie – auf der abschüssigen und unübersichtlichen Straße eine besondere Gefahrenquelle. Daher konnte die Sicherheit der Rennfahrer nur durch eine stationäre oder mobile Absicherung der jeweiligen Zufahrtswege gewährleistet werden.
Diese Maßnahmen hätten den Unfall verhindert und waren auch zumutbar: Gegenverkehr konnte in der konkreten Situation – bei Abfahrt mit hoher Geschwindigkeit auf einer kurvigen, vergleichsweise schmalen Straße – zu schwersten Verletzungen von Rennteilnehmern führen. Diese Gefährdung rechtfertigt die Kosten einer verstärkten Absicherung jedenfalls bei Durchfahrt des Hauptfeldes oder anderer größerer Gruppen. Zudem trifft die Beweislast für die Unzumutbarkeit von Vorkehrungen ohnehin den Verkehrssicherungspflichtigen; dieser Beweis wurde hier nicht erbracht.
Die gegen diese Auffassung vorgebrachten Argumente der Revisionsbeantwortung können nicht überzeugen.
(a) Richtig ist, dass nach dem Bewilligungsbescheid „Streckensperren und sonstige Verkehrsbeschränkungen“ nur nach behördlicher Anordnung durchgeführt werden durften. Diese Regelung ist aber in Zusammenhalt mit der generalklauselartigen Auflage zu sehen, dass der Veranstalter die Sicherheit von Personen „durch geeignete Maßnahmen“, etwa einen „Ordnerdienst“, sicherzustellen habe. Daraus ist abzuleiten, dass sich die Begriffe „Streckensperre“ und „sonstige Verkehrsbeschränkungen“ nur auf dauerhafte Maßnahmen während des gesamten Rennens bezogen, während temporäre Einschränkungen bei Durchfahrt des Feldes oder größerer Gruppen nicht darunter fielen. So wurde die Regelung im Übrigen auch vom Viertbeklagten verstanden, hatte er doch an anderen Kreuzungen sehr wohl Sicherungsposten der örtlichen Feuerwehren aufgestellt. Auf eine Erfüllung „aller“ Auflagen des Bewilligungsbescheides kann sich der Viertbeklagte schon deswegen nicht berufen, weil dieser Bescheid aufgrund der genannten Generalklausel gerade keine taxative Auflistung der erforderlichen Maßnahmen enthielt.
(b) Es steht fest, dass das Kurvenschneiden bei Radrennen (zumindest) der höchsten Klasse üblich ist und im konkreten Fall sowohl von der Polizei als auch von der Rennleitung geduldet wurde. Damit konnten die Verantwortlichen des Viertbeklagten nicht damit rechnen, dass den Rennfahrern in der konkreten Situation (Abfahrt des Hauptfeldes mit hoher Geschwindigkeit auf vergleichsweise schmaler Straße) die Gefahr von Gegenverkehr bewusst gewesen wäre; vielmehr konnten sie auf die Absicherung durch den Veranstalter vertrauen. Es lag daher gerade keine erkennbare Gefahr vor, die nach der Rsp uU in den Risikobereich der Teilnehmer fiele.
(c) Aus der Annahme einer Absicherungspflicht bezüglich des Zufahrtswegs ergibt sich nicht, dass auch alle Haus- und Hofeinfahrten entlang einer Rennstrecke (zumindest) bei Durchfahrt des Feldes oder größerer Gruppen durch stationäre Posten oder eine mobile Absicherung gesperrt werden müssten. Denn bei Anwesen entlang der Rennstrecke kann der Veranstalter bei einer auffälligen (also nicht bloß, wie hier, in Gemeindeblättern enthaltenen), kurz vorher erfolgten Information über das Rennen annehmen, dass Anrainer den vor dem Feld fahrenden Tross schon vor der Ausfahrt bemerken. Bei Zufahrtswegen trifft das nicht zu, weil von dort kommende Verkehrsteilnehmer die vor dem Feld fahrenden Fahrzeuge – wie auch der vorliegende Fall zeigt – nicht unbedingt wahrnehmen müssen. Sind das Feld oder größere Gruppen noch weiter entfernt, wird idR die davor fahrende Sicherung, die sowohl den Gegenverkehr als auch das Feld warnen kann, ausreichen. Von einem „Todesurteil“ für den Radrennsport kann daher keine Rede sein.
(d) Da eine weitergehende Information der Anrainer oder ein Warnschild ohnehin nicht ausgereicht hätte, können die diesbezüglichen Ausführungen der Revisionsbeantwortung auf sich beruhen. Ebensowenig kommt es auf ein allfälliges Fehlverhalten des stellvertretenden Rennleiters und auf dessen Zurechnung zum Viertbeklagten an. Gerade wenn die von ihm vorgenommene Vergrößerung des Abstands zum Feld – die dazu geführt hatte, dass der Erstbeklagte dessen Annäherung nicht wahrnahm – aufgrund der örtlichen Verhältnisse „renntaktisch“ richtig gewesen sein sollte, wäre eine Absicherung des Zufahrtswegs von besonderer Bedeutung gewesen.
(e) Die behaupteten sekundären Feststellungsmängel zum Kenntnisstand der Fahrer liegen nicht vor: Da der Viertbeklagte mit einem nicht der StVO entsprechenden Verhalten der Rennfahrer rechnen musste, kommt es nicht darauf an, ob den Fahrern der Unterschied zwischen einem „Kriterium“ (mit vollständig gesperrter Strecke) und einem (anderen) „Straßenradrennen“ bewusst war. Abgesehen davon besteht ohnehin kein Zweifel, dass die Fahrer nicht von einer vollständigen Sperre der Rennstrecke ausgingen. Sie konnten aber darauf vertrauen, dass der Veranstalter durch geeignete Maßnahmen für eine ausreichende Absicherung zumindest größerer Fahrergruppen sorgen würde. Auf die vermisste Feststellung kommt es daher nicht an.
In der konkreten Situation traf den Kläger auch kein Mitverschulden. Da er mit einer Absicherung des Hauptfeldes durch den Veranstalter – also mit einer Verhinderung von Hindernissen oder Gegenverkehr oder zumindest mit einer rechtzeitigen Warnung – rechnen konnte, war ihm nicht zumutbar, sich entgegen der ständigen Rennpraxis an die Regeln der StVO zu halten. Es ist nicht Aufgabe der Rsp, den Teilnehmern eines behördlich genehmigten Radrennens faktisch unrealisierbare, mit dem Ziel der rechtlich gebilligten Sportausübung unvereinbare Sorgfaltspflichten aufzuerlegen.