20.10.2020 Zivilrecht

OGH: Zugang zum See – zur Auslegung von Servitutsvereinbarungen

Wenn das Berufungsgericht davon ausging, der Beweggrund eines Käufers einer Liegenschaft, mit der die Berechtigung des Seezugangs und des Badens verbunden ist, sei darin gelegen, nicht nur allein, sondern mit seinen Familienmitgliedern zum See zu gelangen (mögen sie auch nicht unmittelbar haushaltszugehörig sein, wie etwa Enkelkinder), ist diese Auslegung vertretbar


Schlagworte: Servitut, Zugang zum See, Baden, Familienangehörige, Vertragsauslegung
Gesetze:

 

§§ 472 ff ABGB, § 914 ABGB

 

GZ 9 Ob 38/20h, 26.08.2020

 

OGH: Wird im Servitutsbestellungsvertrag Ausmaß und Umfang des eingeräumten Rechts nicht näher festgelegt, so liegt eine ungemessene Servitut vor. Deren Umfang richtet sich, ebenso wie die Art der Ausübung nach dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere der Zweck der Dienstbarkeit zu beachten ist. Maßgebend ist dabei das jeweilige Bedürfnis des herrschenden Gutes unter Berücksichtigung der ursprünglichen Bewirtschaftungsart sowie der vorhersehbaren Art der Ausübung.

 

Die Art der Ausübung findet ihre Grenzen in einer unzumutbaren Beeinträchtigung des Eigentümers des dienenden Gutes. Dem Berechtigten soll der angestrebte Vorteil ermöglicht, dem Belasteten aber so wenig wie möglich geschadet werden. Eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit liegt nur dann vor, wenn das dienende Gut dadurch erheblich schwerer belastet wird.

 

Diese gem § 484 ABGB vorzunehmende Interessensabwägung ist stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig.

 

Nach den Tatsachengrundlagen ist davon auszugehen, dass der Vereinbarung über die Begründung der Dienstbarkeit offenkundig die Absicht zugrunde lag, eine vorteilhaftere Benutzung des Grundstücks zu bewirken, indem das Recht auf den Zugang zum See und die Benutzung des Uferstreifens als Badeplatz eingeräumt wird. Dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft und dessen Familienmitgliedern sollte auch ermöglicht werden, vor und nach dem Baden am Uferbereich zu verweilen und dort Kleidung, Schuhe und Badesachen abzulegen. Dass die Liegenschaft – insbesondere an heißen Tagen – mehrmals täglich zum Baden aufgesucht werden wird, war vorhersehbar. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung, eine Einschränkung des Badens auf einmal pro Tag sei weder mit dem Wortlaut der Dienstbarkeitsvereinbarung noch mit deren Sinn und Zweck in Einklang zu bringen, bewegt sich im Rahmen der zitierten Auslegungsregeln.

 

Dies trifft auch auf die Auslegung des Kreises der berechtigten Familienangehörigen zu. Wenn das Berufungsgericht davon ausging, der Beweggrund eines Käufers einer Liegenschaft, mit der die Berechtigung des Seezugangs und des Badens verbunden ist, sei darin gelegen, nicht nur allein, sondern mit seinen Familienmitgliedern zum See zu gelangen (mögen sie auch nicht unmittelbar haushaltszugehörig sein, wie etwa Enkelkinder), ist diese Auslegung vertretbar.

 

Da auf die jeweiligen Bedürfnisse der Liegenschaft abzustellen ist, kann der Kreis der Berechtigten im Rahmen der bei Abschluss der Servitutsvereinbarung vorstellbaren Nutzung auch größer werden (etwa im Falle der Vergrößerung der Eigentümerfamilie, der Aufteilung der Eigentümerstellung auf mehrere Personen, aber auch im Fall der Vermietung an mehrere Mieter). Im Allgemeinen bedeutet die Steigerung der Zahl der Benutzungsfälle für sich allein noch keine unzulässige Erweiterung der Servitut.