20.10.2020 Zivilrecht

OGH: Zur Aufklärungspflicht des Verkäufers

Es ist ein umso strengerer Maßstab anzulegen ist, je größer die potenziellen Schadensfolgen aus einem bestimmten Risiko sind (hier: Gesundheitsgefährdung durch Asbest)


Schlagworte: Schadenersatzrecht, Kaufvertrag, Aufklärungspflicht des Verkäufers, Interessen des Käufers, Grundsätze des redlichen Verkehrs, Gesundheitsgefährdung, Kontamination, Asbest
Gesetze:

 

§§ 1295 ff ABGB, § 870 ABGB, § 933a ABGB, § 1061 ABGB

 

GZ 1 Ob 222/19g, 22.07.2020

 

OGH: Ganz allgemein wird der Umfang von Aufklärungspflichten durch die Grundsätze des redlichen Geschäftsverkehrs bestimmt. Auch wenn keine allgemeine Rechtspflicht besteht, den Geschäftspartner über alle Umstände aufzuklären, die auf seine Entscheidung Einfluss haben könnten, wird eine Aufklärungspflicht angenommen, wenn der andere nach den Grundsätzen des redlichen Verkehrs Aufklärung erwarten darf, insbesondere wenn ansonsten der Vertragszweck des Partners gefährdet würde oder diesem ein Schaden droht. Die Aufklärungspflicht hängt in ihrem Umfang also auch vom vorauszusetzenden Wissensstand der aufzuklärenden Person und von der Beschaffenheit und Funktionsweise des Kaufgegenstands ab und endet an der Grenze objektiver Vorhersehbarkeit einer Gefährdung der Interessen des Gegners. Dabei ist idR ein umso strengerer Maßstab anzulegen, je größer die potenziellen Schadensfolgen aus einem bestimmten Risiko sind. Generelle Aussagen, wann eine Warn- bzw Aufklärungspflicht besteht, sind kaum möglich; die Frage ihres Bestehens oder ihres Umfangs ist eine des Einzelfalls.

 

Das (objektive) Bestehen einer Verdachtslage (das Vorhandensein von konkreten Verdachtsgründen) als eine der Grundvoraussetzung für eine Aufklärungspflicht des Verkäufers bei Verdacht einer Kontamination ist hier zu bejahen: Es lagen konkrete Verdachtsgründe vor, dass die zum Abwracken und Verschrotten übergebenen Waggons noch Asbest beinhalten können. Dieser Verdacht betrifft - unzweifelhaft - einen Umstand, bei dessen Unkenntnis objektiv vorhersehbar Interessen des Käufers gefährdet sind. Es geht nicht nur um den Schaden in Form von (der späteren Entdeckung geschuldeten) hohen Entsorgungskosten, sondern auch um die von dem Stoff ausgehende Gesundheitsgefährdung. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass hier ein strenger Maßstab an den Umfang der Aufklärungspflicht anzulegen ist und die Pflicht bestand, einen Käufer über das Risiko hinzuweisen, dass ein solcher (krebserregender) Stoff vorhanden sein könnte, ist - der Grundregel, dass ein umso strengerer Maßstab anzulegen ist, je größer die potenziellen Schadensfolgen aus einem bestimmten Risiko sind folgend – unbedenklich.