29.09.2020 Zivilrecht

OGH: Zur Anscheinsvollmacht

Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen auszugehen


Schlagworte: Stellvertretung, Vertretungsmacht, Anscheinsvollmacht, Vertrauen auf den äußeren Tatbestand, Beweislast
Gesetze:

 

§ 1002 ABGB, § 1029 ABGB

 

GZ 5 Ob 48/20z, 21.07.2020

 

OGH: Eine wirksame Stellvertretung setzt die Vertretungsmacht des Stellvertreters voraus. Ein ohne (ausreichende) Vertretungsbefugnis gesetzter Geschäftsakt ist folglich unwirksam. Die Behauptungs- und Beweislast trifft denjenigen, der aus der Stellvertretung Rechte ableitet.

 

Eine Anscheinsvollmacht (Vollmacht wegen Vertrauens auf den äußeren Tatbestand) setzt voraus, dass Umstände vorliegen, die geeignet sind, im Dritten den begründeten Glauben an die Berechtigung des Vertreters zum Abschluss des beabsichtigten Geschäfts zu erwecken. Grundvoraussetzungen für die Annahme einer Anscheinsvollmacht sind demnach 1. das Vorliegen eines Vertrauenstatbestands, also eines Sachverhalts, aus dem ein Wille auf Vollmachtserteilung erschlossen werden konnte, 2. der Nachweis, dass dieser Sachverhalt durch ein Verhalten desjenigen zurechenbar veranlasst wurde, in dessen Namen gehandelt wurde, sowie 3. das gutgläubige Vertrauen des Dritten auf den Anschein durch den Dritten, der bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit also davon ausgehen durfte, dass der als Bevollmächtigter Handelnde tatsächlich eine Vollmacht habe. Anscheinsvollmacht darf daher nur dann angenommen werden, wenn aus dem Verhalten des Vertretenen der Schluss abgeleitet werden kann, er habe dem Handelnden Vollmacht erteilt. Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat also nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen auszugehen. Der auf diese Weise gesetzte, dem Vertretenen zurechenbare äußere Tatbestand muss das Vertrauen des Dritten vom Vorhandensein der Vertretungsmacht rechtfertigen. Das Vorliegen der genannten Voraussetzungen ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls einer strengen Überprüfung zu unterziehen.